Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Kirschen mehr im Spiel sind.
Die nächsten Tage gibt es eine neue Körperlichkeit für Julia, eine Verschmelzung zu dritt. Kolja becirct, umgarnt sie, flüstert, atmet, lacht. Sie vögeln wie die Weltmeister. Und jedes Mal ist Jonas dabei. Kolja kann ihn herzaubern, er braucht sie nur zu berühren. Die Gedanken und Zweifel lösen sich auf. Sie versucht, jede freie Minute mit Kolja zu verbringen. Manchmal öffnet er ihr die Wohnungstür, wortlos, fasst sie an der Hand, führt sie in den Flur, hinter sich her, in sein Schlafzimmer. Sie weiß, sie soll nichts sagen, nichts wegreden, es ist der Moment, in dem alles möglich ist. Dann hält Julia still, horcht, schmeckt – fühlt Fingerspitzen auf ihren Lidern, seinen Mund an ihrer Kehle. Sie zieht jetzt immer etwas zum Aufknöpfen an. Er darf sich nicht bewegen. – Unter dunklen Uferulmen wurdest durch Blut und Wunder ruhmlos ruhend du gefunden. – Wenn die Bluse offen ist, lernt er zu schauen.
»Ich liebe dich«, haucht er ihr ins Haar, stolz, erschöpft und glücklich – und dieser Satz dreht die Zeit zurück. Sie treiben es auf dem Bett, auf dem Balkon, in der Badewanne und jedes Mal ist Jonas dabei.
Es gibt aber auch Tage, da ist nur Jonas da. Allein dafür lohnt es sich weiterzuleben.
KAPITEL 21
Das Große
Heute ist so ein Jonas-Tag. Julia geht endlich mal wieder zum Schauspielunterricht. Herr Lambosi sitzt mit ein paar jüngeren Mädchen im Foyer der Schauspielschule. Es sieht ein bisschen aus wie in einem Feriencamp. Sieben Mädchen quetschen sich auf ein abgewetztes Sofa; Herr Lambosi mit einem Bein auf der Lehne. Die Mädchen sind erst elf oder zwölf. Er schreibt ihnen Stichworte auf. Dazu sollen sie sich für den nächsten Tag eine Szene ausdenken – ein Schnupperworkshop für die Jüngsten. Sie lachen, quieken, als sie sehen, was auf ihrem Zettel steht, und verabschieden sich. Julia hat diese Übungen immer sehr gern gemacht. Als Herr Lambosi sie sieht, geht er auf sie zu und gibt ihr die Hand. Er ist groß und hager. Das letzte Mal, als sie ihn auf der Bühne gesehen hat, hat er den Mephisto gespielt, im Faust . Er sieht auch in Zivil immer ein bisschen wie Mephisto aus: schwarz gekleidet, buschige Augenbrauen, dunkler Bartschatten, Hut. Liebe Augen. Sie mag ihm gar nicht in die Augen gucken, spürt seine Unsicherheit. Sie haben sich seitdem noch nicht wiedergesehen. Er weiß, was passiert ist, aber er weiß nicht, was er sagen soll, das sieht sie ihm an. Als Chef der Schule leitet er selten Kurse, kennt jedoch seine Schüler und Schülerinnen alle persönlich. Er hat im Namen der Schule eine Kondolenzkarte geschickt.
»Julia, wie schön, dass du gekommen bist!«, er schaut ihr in die Augen. Sie schluckt, hält seinem Blick stand. Er drückt ihre Hand, kräftig und aufmunternd, aber nicht zu fest.
Sie fangen mit Körperarbeit an: Stehen – ganz gerade, präsent sein! Leichter Blick nach oben, über die Horizontlinie. Atmen. Zehn Minuten nichts anderes als Stehen! Eine Ewigkeit, die sich irgendwann auflöst. Dann fangen die Finger an, sich gegenseitig zu betasten, zu streicheln, zu kneten, zu kreisen. – Wir sind nur Finger! Handgelenke übernehmen die Bewegung, dann Ellenbogen, Schultern, Hals. – Wir sind jetzt nur Kinn! Der Kopf dreht nach links, nach rechts. Nicken. – Schütteln, grinsen, staunen, Stirn runzeln. – Gesicht entspannen! Sich jeden Wirbel einzeln hinabdenken. Hüfte kreisen, Pobacken anspannen – in die Mitte atmen! In der Mitte spürt sie Jonas.
Es dauert eine Weile, bis sie merkt, dass Helen sie anlächelt. Sie ist wieder da. Sie war drei Monate in München, ihre Mutter hatte da irgendeinen Job. Helen war gar nicht begeistert, dass ihre Mutter sie für drei Monate mit nach München schleppte. »Was soll ich in München?«, hatte sie geklagt. »Da kenne ich keinen. Habe auch keine Lust auf eine neue Schule.«
»München ist doch eine coole Stadt.«
»Mag ja sein, aber ich habe gerade einen süßen Jungen auf einer Party kennengelernt. Es hat echt gefunkt. Ich will jetzt nicht weg!«
»Kannst du denn nicht für drei Monate bei irgendjemand anderm in Berlin bleiben?«
»Nein, meine Mutter hat so eine tolle Wohnung in München gefunden, dass sie unbedingt will, dass ich mitkomme. Sie sagt, das würde mir guttun, mal zwischendurch woanders zu sein, school of live nennt sie das.«
Nun ist Helen wieder da. Wahnsinn, wie schnell die letzten drei Monate vergangen sind!
»Und wie war’s in München«,
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