Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Seine Augen glänzen fiebrig.
»Ich fühle mich so schäbig, weil ich mich vorhin nicht unter Kontrolle hatte. Ich möchte das wiedergutmachen. Meine süße, kleine Julia!«
»Es geht nicht, Kolja.«
»Wieso? Machen deine Eltern Stress? Ich kann mit deiner Mutter reden. Sie wird bestimmt nichts dagegen haben.«
»Nein, aber ich will nach Hause.«
»Eben hast du gesagt, du musst.«
»Kolja, bitte, ich möchte nach Hause!«, schreit sie ihn an.
Er tritt einen Schritt zurück und hebt die Hände. »Ist ja schon gut. Dann begleite ich dich.«
»Du brauchst mich nicht zu begleiten. Ich fahre mit der U-Bahn.«
Seine Augen weiten sich. »Auf keinen Fall! Um diese Zeit lass ich dich nicht mehr allein auf die Straße. Was meinst du, wie viele Verrückte hier rumlaufen!«
KAPITEL 35
Tief und unendlich
Kolja legt einen Arm um ihre Schulter. Ihre Tasche hat sie ganz eng an ihren Bauch gedrängt, sie kann Jonas’ Tagebuch spüren. Ihr schlägt das Herz bis an den Mund. Sie drückt sich mit der Tasche fast die Luft ab.
»Wieso ist dir plötzlich so kalt?«, fragt Kolja.
»Mir ist nicht kalt.« Sie geht einen Schritt schneller.
»Was hast du denn?«
»Nichts.«
»Ich merk doch, dass du was hast.«
»Bauchschmerzen.«
Kolja sagt ein paar Schritte lang nichts mehr, aber er lauert, horcht, sie spürt, dass er herausfinden will, was mit ihr los ist. Sie sind erst am Hermannplatz. Sie müssen noch eine Station laufen. »Ich möchte ein Taxi«, sagt sie. Und springt aus seiner Umarmung. Sofort ist er wieder bei ihr. »Ich mach das schon«, sagt er. »Ist es so schlimm? Bekommst du deine Periode?«
Sie nickt. Es kommt kein Taxi. Dann kommen gleich zwei hintereinander, aber die sind besetzt. Er legt seinen Arm um ihre Hüfte. »Nimm doch mal die Tasche weg«, sagt er, aber sie drückt sie nur noch stärker vor den Bauch.
»Ist es so schlimm?« Er sieht sie mitleidig an.
»Ja.«
Höhe Jahnstraße hält ein Taxi. Der Fahrer meckert wegen der kurzen Fahrt. Kolja sagt, seiner Freundin ginge es nicht so gut. Dann sagt der Fahrer nichts mehr, stellt die Uhr nicht an.
Julia springt aus dem Taxi, rennt ins Haus. Kolja gibt dem Fahrer Geld, rennt hinter ihr her, holt sie vor der Haustür ein. »Julia, was ist los?«
»Ich muss dringend auf die Toilette.« Ihre Zähne schlagen aufeinander, sie steckt eine Hand in die Tasche, wühlt nach dem Hausschlüssel.
»Gib doch mal her«, sagt Kolja und will ihre Tasche nehmen. Sie wehrt ihn ab.
»Mach sie doch mal richtig auf, dann findest du den Schlüssel auch.« Er zieht eine kleine Taschenlampe aus seiner Jacke und will ihr in die Tasche leuchten. Da hat sie den Schlüssel zum Glück schon gefunden.
»Ich ruf dich an«, sagt Julia und schließt die Haustür auf, geht, ohne Kolja zu küssen. Kolja kommt die drei Treppen hinter ihr her, bis zur Wohnungstür.
»Julia, was ist mit dir?«
»Ich sag doch, ich muss auf Toilette!«
Die Wohnungstür schlägt sie ihm vor der Nase zu.
Ihre Eltern sind noch wach, liegen im Wohnzimmer, Mama links auf der Couch, Papa rechts. Aus dem Fernseher Schüsse, Schreie, Panzerrollen.
»Hallo!«, sagt Julia und verschwindet im Badezimmer, der einzige Ort, wo sie sich einschließen kann. Sie setzt sich auf den Toilettendeckel und zieht das Tagebuch aus der Tasche, hält es mit beiden Händen fest und drückt es an die Brust. Sie muss erst einmal verschnaufen, hat gar keinen Atem mehr, hört die Klingel, dann, wie Papa über den Flur geht und die Wohnungstür aufmacht.
»Entschuldigen Sie«, hört sie Koljas Stimme. »Aber ich glaube, Julia geht es nicht so gut, ich wollte mich nur vergewissern …«
»Julia?«, ruft Papa Richtung Bad.
»Ich bin nur auf der Toilette, alles okay.«
»Wir waren essen, heute Abend, vielleicht ist ihr irgendwas nicht bekommen«, sagt Kolja.
»Julia?«, ruft Mama nun.
Julia schiebt das Tagebuch unter die Badematte, drückt die Spülung, wäscht sich die Hände und holt tief Luft. Dann kommt sie aus dem Bad. Wie sie da alle stehen, Kolja, Papa und Mama, und sie ansehen.
»Man wird doch wohl noch auf Toilette gehen dürfen!«, sagt Julia und versucht zu lächeln. Koljas Augen sind schwarz, abschätzend.
»Kolja meint, du hast was Falsches gegessen?«
»Quatsch«, sagt Julia. So, wie Mama guckt, denkt sie bestimmt, sie hätten dicke Luft.
»Wollt ihr euch noch einem Moment zu uns setzen?«, schlägt sie vor. »Einen Tee trinken oder ein Wasser?«
»Nein«, sagt Julia. »Ich möchte ins Bett.«
»Ich bin auch
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