Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Dr. Abeler.
Die Untersuchung
»Guten Morgen, Herr Mockridge! Schön, dass Sie da sind!«
Mit strahlendem Lächeln schiebt mir die junge Dame hinter dem Empfangstresen von Dr. Abelers Praxis ein Formular hinüber. Wüsste ich es nicht besser, könnte man glauben, ich würde in einem Wellness-Hotel einchecken. Doch natürlich ist mir klar: Heute würde nur einer einchecken – nämlich Dr. Abeler, und dies gleich doppelt in mir. Ich fülle das Formular aus, obwohl ich ohne meine Lesebrille das ganze Kleingedruckte nicht richtig entziffern kann. Irgendwas mit »Haftungsausschluss« steht dort, und »sollten Sie nach dem Eingriff nicht wieder wach werden, lieber Patient, dürfen Sie nicht sauer sein …«. Ich soll dem Ganzen durch meine Unterschrift zustimmen. Eventuell auch noch dem Verkauf meiner Seele an Luzifer, der Lieferung von vier Waschmaschinen und der Heirat mit einer Osteuropäerin – wie gesagt: Die Buchstaben verschwimmen und tanzen vor meinen Augen. Kein Wunder, bei dem, was mich in wenigen Minuten erwartet.
Eine Assistentin führt mich durch die langen weißen Gänge der Praxis. Ich dackele mit weichen Knien hinterher, bis wir den gefürchteten Spiegelsaal erreichen. In der Mitte wartet bereits die Liege auf mich. Dr. Abelers Assistentin drückt mir ein topmodisches Krankenhausdress in die Hand, zeigt in die mit einem Vorhang abgehängte Ecke.
»Dort können Sie sich umziehen.«
Ich verschwinde wie mir aufgetragen hinter dem Vorhang und erspare Dr. Abelers Assistentin damit einen Senioren-Striptease allererster Güteklasse. Zum Glück bin ich direkt bei einem Arzt, denn ich breche mir beim Überstreifen des Kittels fast alle Knochen. Wer zum Geier schneidert diese verdammten Dinger? Lagerfeld würde sich im Sarg umdrehen, wenn er das sähe! Ach nee, Moment – der lebt ja noch. Ist aber ganz schön dürr geworden in den letzten Jahren. Ganz im Gegensatz zu mir. Aber ist das gleich ein Grund, mir den Kittel mindestens zwei Nummern zu klein zu geben? Ich bin doch keine Frau! Ich sehe meiner wahren Kleidergröße todesmutig ins Auge! Oder will man mich nur demütigen? Wie auch immer, ich zwänge mich irgendwie mühsam in diesen Kittel. Jetzt bloß nicht mehr zu tief einatmen, sonst fliegt dir der dünne, wie eine zweite Haut anliegende Stoff um die Ohren. Ganz ehrlich: Ob ich diesen Minifetzen Stoff nun anlasse oder einfach nackt heraustrete – die Unterschiede sind nur noch von Experten auszumachen.
Wenige Momente später trete ich voller Stolz in meinem weißen Hauch von Nichts hervor. Ich sehe jetzt kleidungstechnisch ein wenig aus wie Jesus im Muscle-Shirt, doch ob ich am dritten Tage von den Gespiegelten auferstehe, wird sich erst zeigen müssen.
Nachdem ich mich auf der Liege platziert habe, bereitet Dr. Abelers Assistentin die Instrumente vor, schaltet den Monitor neben mir ein. Dort also wird die Magen- und Darmspiegelung von Bill Mockridge übertragen. Live und in Farbe. Dafür würden echte »Lindenstraßen«-Hardcore-Fans im Pay-TV viel Geld zahlen. Während ich mich noch suchend umschaue, wo sich die böse, lange Sonde versteckt, kommt auch schon Dr. Abeler herein.
»Herr Mockridge, ich grüße Sie!«
Er gibt mir die Hand, wirkt etwas gehetzt. Dr. Abeler ist gut im Geschäft, die Praxis schon heute Vormittag proppenvoll. Wie erfüllend mag es wohl sein, fremden Menschen tagtäglich Schläuche in Arsch und Mund zu schieben? Kann ein Mensch wie Dr. Abeler aus seiner Berufung den gleichen intensiven Sinn des Lebens ziehen wie, sagen wir, Mutter Teresa? Das sind die elementaren Fragen des Seins, die mich beschäftigen. Allerdings nicht in diesem Moment, denn eher mache ich mir gerade Sorgen, wie Dr. Abeler die kombinierte Spiegelung logistisch regelt – ob er überhaupt zwei Schläuche hat, und falls nicht, ob er ihn dann wenigstens zunächst in meinem Mund und erst danach in meinen … Nein, Bill, hör auf – das ist doch Unsinn! Dr. Abeler wird wissen, was er tut!
Dr. Abeler hält eine Spritze hoch. »Ich verabreiche Ihnen jetzt ein kleines Sedativ, dann werden Sie gar nichts mitkriegen.«
»Damit schlafe ich sicher durch?«, erkundige ich mich ängstlich. Meinen Blutdruck wähne ich vor Nervosität im nicht mehr messbaren Bereich.
»Nun, eigentlich schlafen Sie nicht wirklich«, erklärt mir Dr. Abeler. »Es ist mehr so eine Art Dämmerzustand.«
»Ah ja, ja, klar. Dämmerzustand!«, tue ich fachmännisch. »Kenne ich: Meine Frau schleppt mich immer mit in
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