Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
die Oper.«
Doch kaum hat Dr. Abeler mir die Spritze gegeben, fühle ich mich alles andere als gefangen in einer Drei-Stunden-Inszenierung »Götterdämmerung«. Im Gegenteil: Ich fühle mich auf einmal richtig gut. So unendlich leicht. Fast, als würde ich fliegen. Ich meine zu spüren, wie plötzlich meine Haare in Rekordtempo bis auf meine Schultern zurücksprießen. Genau, wie ich sie in den Siebzigern getragen habe. Alte Bilder von mir und meiner Hippie-Freundin »Flower« im selbstbemalten VW-Bus mit Peace-Zeichen tanzen in tausend bunten Farben vor meinen Augen, während im Hintergrund »Riders On The Storm« von den Doors kracht. Ich bin beeindruckt.
»Wow«, murmele ich vor mich hin. »Können Sie mir von dem Stoff vielleicht eine Zehnerpackung …«
»… einpacken«, will ich meinen Satz eigentlich beenden, doch dazu komme ich nicht mehr. Im einen Moment sehe ich noch Dr. Abeler, im nächsten sehe ich nur noch schwarz.
Tja, und da sind wir wieder. Dort, wo wir begonnen haben: Ich benebelt auf der Liege, Dr. Abeler im grünen Kittel vor mir. Schwerfällig starte ich den Versuch, mich aufzurichten.
»Vorsicht!« Dr. Abeler hilft mir. »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Sind wir schon durch?«, frage ich ungläubig, während ich mir durchs Gesicht reibe.
»Alles erledigt!« Dr. Abeler scheint mehr als zufrieden. »Herr Mockridge, ich sag Ihnen: Ihre Schleimhäute – ein Traum ! Die ›Mona Lisas‹ unter den Mukosen! Schauen Sie mal …«
Er drückt mir zwei kleine Farbausdrucke in die Hand. Außer viel Rosa erkenne ich nicht viel.
»Das hier ist Ihr Magen. Und das Ihr Darm. Jetzt sagen Sie selbst: Haben Sie je so etwas Wunderschönes gesehen?«
»Ähm …«
»Können Sie natürlich mitnehmen, zur Erinnerung! Möchten Sie auch ein mp4-Video für Ihren iPad?«
»Och … Ich glaube, wir wollen’s nicht übertreiben!«, schüttel ich schnell den Kopf.
Dr. Abeler lobt noch mal meine tolle Vorbereitung, wie blitzeblank leer und sauber mein Magen und Darm waren. Ich freue mich wie ein kleiner Schuljunge, der von der Lehrerin einen Smiley unters Diktat bekommen hat. Dann streckt Dr. Abeler seine Hand aus.
»Herr Mockridge: Alles Gute – und vergessen Sie nicht: Wir sehen uns in einem Jahr wieder!« Und damit ist er auch schon wieder verschwunden. Ich ziehe mich an und verlasse wenig später als Mann die Praxis.
Auf dem Nachhauseweg komme ich an einer Currywurst-Bude vorbei. Wir halten fest: Seit gestern Mittag habe ich nichts mehr gegessen. Meinen Darm habe ich bis aufs letzte Nahrungsatom komplett leergespült. Ich komme zudem gerade von einer Doppel-Spiegelung. Ich finde, da habe ich mir eine Belohnung verdient!
Während ich am Tischchen über meiner Currywurst XXL hänge, lasse ich den Vormittag in Gedanken Revue passieren. So schlimm war die kombinierte Magen- und Darmspiegelung ja gar nicht. Ehrlich gesagt bin ich sogar fast auf den Geschmack gekommen. Dieses Wahnsinnszeug, das Dr. Abeler mir gespritzt hat – das vergesse ich nie. Aber in einem Jahr darf ich ja endlich wieder. Vielleicht auch schon früher? Ich werde nachher mal Dr. Abeler anrufen – vielleicht sieht er bereits schon in einer Woche wieder medizinische Notwendigkeit für eine Spiegelung. Das wäre schön. So schön.
»Bill? BILL?«
Ich blickte von meiner Currywurst hoch, sehe in ein Gesicht, von dem ich in den ersten Sekunden nur weiß, dass ich es kenne, das ich aber nicht zuordnen kann. Dann auf einmal macht es Klick.
»Hannes! HANNES! Das gibt’s ja nicht! Wie lange haben wir uns denn nicht gesehen?!«
Bestimmt dreißig Jahre, denn es handelt sich um keinen Geringeren als meinen alten Theaterfreund Hannes Jaenicke. Den kenne ich noch aus frühesten Tagen hier in Bonn, dann haben wir uns irgendwann aus den Augen verloren. Wir klopfen uns auf die Schultern, kommen sofort ins Gespräch. Nach dem Austauschen der üblichen charmanten Beleidigungen unter Männern – »Mann, bist du ein alter Zombie geworden!« – »Und du erst!« – erkundigen wir uns, wie es uns ergangen ist. Was der andere heute außer schauspielern macht, was ihn bewegt – eben alles, was gute alte Freunde aneinander interessiert.
Irgendwann bei unserer bereits dritten Currywurst. »Hat dich alten Schwerenöter tatsächlich eine Frau zähmen können?«
»Mein Lieber, hast du ’ne Ahnung!«
Ich hole mein Portemonnaie aus der Hosentasche, ziehe triumphierend Fotos heraus.
»Guck mal!« Ich zeige sie Hannes ganz genüsslich.
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