Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
»Peanuts«. Meine Kollegen in der »Lindenstraße« freilich hatten Glück: Zu denen bin ich schon gleich am nächsten Tag in meinem noch frischen neuen Lieblingshirt gefahren. Extra etwas früher, damit ich noch genug Zeit hatte, mit meinen fetten »50 Jahre – gut gemacht!« auf meiner leider nicht weniger fetten Brust den Gang entlangzustolzieren. Jedes Mal, wenn ich jemandem vom »Lindenstraßen«-Team begegnete und ihn oder sie stolz darauf hinwies, dass ich dieses T-Shirt von keiner Geringeren als meiner Frau geschenkt bekommen hatte, war die Reaktion ähnlich erbauend: »Boah, Bill, fünfzig ? Also, das würde man echt nie denken! Mensch, Glückwunsch!«
» Fünfzig ? Bill, willst du mich vergackeiern? Keinen Tag mehr als fünfundvierzig hätte ich geschätzt! Unglaublich, du Hecht!«
» Fünfzig ? Mein lieber Scholli, deine Gene will ich haben! Respekt!«
» Fünfzig ?«
» Fünfzig ?«
» Fünfzig ?«
Usw. usw. etc. pp. Den ganzen Tag lang ging das so. Ich weiß nicht mehr genau, für welche Folge »Lindenstraße« wir damals gedreht haben, aber in der grinse ich wahrscheinlich die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd, selbst wenn Erich Schiller gerade erfahren haben sollte, dass Helga Beimer im Koma durch Salmonellenvergiftung vor ihren Spiegeleiern liegt. Das ist in der »Lindenstraße«, sofern ich mich korrekt erinnere, nie passiert, wäre aber durchaus im Rahmen des Möglichen. Jedenfalls erhielt ich den ganzen lieben langen Tag ein Kompliment nach dem anderen.
Am Abend, als ich wieder zu Hause war, war ich dementsprechend abgefüllt – aber ich dachte berauscht: Ein Kompliment geht noch rein. Und genau in diesem Moment klingelte es an der Tür. Ich torkelte komplimentberauscht hin und machte auf: Vor mir stand ein junges Mädchen von der Firma »Blumen Komp« und überreichte mir einen Riesenstrauß. Fünfzig Nelken von meinen »Lindenstraßen«-Kollegen. Diese Überraschung hatten sie mir nicht verraten – es war das i-Tüpfelchen eines rundum gelungenen Tages. Einfach super. Ich drückte dem Liefermädchen ein besonders großzügiges Trinkgeld in die Hand. Sie drehte sich bereits um, dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Richtig, die Botschaft!
»Sorry …« Sie räusperte sich, setzte den ihr bestmöglichen feierlichen Ton auf. »Herr Mockridge: Herzlichen Glückwunsch zur Goldenen Hochzeit!«
Hätte sie das Trinkgeld nicht bereits eingesteckt gehabt – ich hätte mir die Hälfte wieder zurückgenommen. Sei’s drum, ich freue mich schon auf die Überraschungen an meinem Siebzigsten!
36.
Stationen einer Ehe
Im Rausch der Gefühle
Wenn ich auf den bisherigen Verlauf meiner Ehe zurückblicke, kommt sie mir manchmal vor wie eine lange Zugfahrt durch traumschöne Landschaften. Kennen Sie diese Sendungen, nachts im Fernsehen, wenn diese endlosen Zugfahrten gezeigt werden? Toll! Die könnte ich mir stundenlang anschauen, wenn ich nicht schon immer nach fünf Minuten einschlafen würde.
Im Zugabteil meiner Ehe geht mir das ganz anders. Dort gab und gibt es auf der Strecke des Lebens immer etwas Neues zu sehen und zu entdecken. Zu Beginn der Zugfahrt hält man sich mit seinem Reisepartner am liebsten im Schlafwagen auf, später allerdings immer häufiger im Speisewagen. Mal sitzt man gemeinsam im Großraumwagen und schaut doch in verschiedene Richtungen, mal nebeneinander im Abteil – mal mit langweiligen Idioten und manchmal auch mit spannenden Menschen. Und während der Reise lernt man, dass nicht der nächste Bahnhof das Ziel ist, sondern die Fahrt dahin. Wenn wir früher mit dem Zug in den Urlaub fuhren, fragten die Kinder nach spätestens zehn Minuten: »Wann sind wir endlich da?«
Nach ein paar Fahrten hatten sie gelernt, dass der Urlaub nicht erst am Urlaubsort beginnt. Mit der Zugfahrt beginnt der Urlaub. Im Zug kann man spielen, reden, singen, Quatsch machen – na gut, schwimmen geht da nicht so gut und Lagerfeuer auch nicht, aber sonst …
Ich hatte als kleiner Junge meine Reise noch in einer schnaufenden Dampflok gestartet. In den letzten Jahren habe ich das Gefühl, ich sitze in einem ICE auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke. Aber auch hier streiken zum Glück ab und zu die Lokführer. Dann steht mein Zug für einen Moment. Und ich genieße die Ruhe.
Ein schönes Bild, ich sollte Poet werden. Oder Pastor. Oder Bahnsprecher.
Was ich eigentlich sagen wollte: Meine Frau und ich verbringen trotz der vielen Ehejahre immer noch möglichst viel Zeit gemeinsam, manchmal
Weitere Kostenlose Bücher