Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
deinem Wagen war schon drin.
Dr. Bill antwortet:
Lieber Jeremy, vielen Dank für deinen Brief. Ich habe einen Sohn, der heißt auch Jeremy. Zu deiner Frage: Natürlich gehör … Moment mal … Beule? Mein Wagen? JEREMYYYYYYYYY!
38.
Die letzten Dinge
Ich bin noch immer unter Schock: Mein bester Freund Hans ist tot. Ich habe es gerade erst erfahren. Hans ist sofort vorbeigekommen und hat es mir selbst aufgeregt erzählt.
Folgendes ist passiert: Hans liest jeden Morgen die Todesanzeigen in der Zeitung. Die einen schlagen als Erstes den Politteil auf, die anderen den Sportteil, wieder andere das Feuilleton – mein Freund Hans jedoch widmet sich am Frühstückstisch sofort den Todesanzeigen, liest jede einzelne sorgfältig durch. Der braucht das irgendwie, hält es in dieser Beziehung wie der amerikanische Komiker George Burns (Baujahr 1896, gestorben 1996), der mit neunzig einmal gesagt hat: »Morgens lese ich die Todesanzeigen durch. Wenn mein Name nicht dabei ist, stehe ich auf und gehe zur Arbeit.«
Nun, ausgerechnet heute war Hans’ eigener Name dabei: Er hat seinen eigenen Namen in den Todesanzeigen gelesen! »Hans Weiß« – gestorben! Selber Jahrgang. »Hinterlässt eine Familie« – genau wie Hans! Ich brauche Ihnen wohl nicht groß zu erklären, wie verwirrt und aufgebracht mein bester Freund bei mir aufgelaufen ist. Der guckte mich kalkweiß an, als hätte er gerade einen Geist gesehen. Dabei hätte ich das umgekehrt viel eher behaupten können. Auf jeden Fall hab ich ihm erst mal einen starken Kaffee eingegossen, damit er sich wieder beruhigt. (Also nicht zu stark – nicht, dass Hans einen Herzkasper bekommt, auch wenn er dann zumindest das Geld für eine extra Todesanzeige gespart hätte.)
»Bill, was mach ich denn jetzt?«, stammelte Hans durcheinander. »Ich bin offiziell tot.«
»Du musst jetzt einen kühlen Kopf bewahren, Hans!«, riet ich ihm eindringlich. »Hat Bestatter Sannemann die Anzeige schon gelesen? Das müssen wir irgendwie verhindern … Wenn der das liest, der weicht nie wieder von deiner Seite! Mich verfolgt der Typ schon seit Jahren – und ich wurde noch nie für tot erklärt. Hast du dich eigentlich schon entschieden, ob du auf deine eigene Beerdigung gehst?«
»Jetzt lass den Blödsinn, Bill! Ich muss … ich muss … warte …«
Hans zog neben mir am Küchentisch sein Handy, rief seinen Direktor, Dr. Lippeheide, an. Hans ist Lehrer.
»Herr Dr. Lippeheide, guten Morgen, hier spricht … ähm … Hans Weiß. Haben Sie … haben Sie heute zufällig die Todesanzeigen im ›General-Anzeiger Bonn‹ gelesen?«
Ich konnte auf meinem Stuhl neben Hans Dr. Lippeheides Stimme aus dem Handy mithören. Selbst mir blieb so das Erstaunen des leicht erstarrten Lippeheide nicht verborgen.
»Äh, jaaaaa … ja, hab ich.«
»Ich habe gedacht, ich melde mich!«, fügte mein Freund Hans an. So ist er, der Hans – pflichtbewusst bis in den Tod.
Aus dem Handy hörte ich es stottern: »Ah, j-j-jaaaa … haben Sie … haben Sie g-g-gut gemacht, Herr Weiß. Aber sagen Sie: V-v-von wo genau rufen Sie gerade an?«
Der arme Dr. Lippeheide. Dabei wäre mein Freund Hans für ein solch weites Ferngespräch eh viel zu geizig. Ich habe Hans, nachdem er aufgelegt hatte, dann erst mal mitgenommen zum Einkaufen. Wann hat man schließlich schon mal die Möglichkeit, mit einem Toten das Leergut zu Aldi zu bringen?
Falls Sie jetzt denken: Das mit Hans’ Todeszeige sei nicht mehr zu toppen – Sie irren. Sie irren sogar ganz gewaltig. Unser Bonn-Endenich ist sozusagen das Epizentrum der morbiden Kuriositäten. Als die Briten vor vielen Jahren hier zu Besuch waren, sind sie auf die Idee für den schwarzen Humor gekommen. So ist hier zum Beispiel vor zehn Jahren ein Mann gestorben. Das allein ist erst mal nichts Besonderes – das kommt häufiger vor, als man denkt. Der Mann kam für seine Beerdigung in einen schönen Eichensarg (Handmade by Sannemann), ein Musikerfreund spielte die Kapellenorgel, eine sehr persönliche Messe wurde gelesen, die Witwe des Mannes war ganz vorne dabei auf den VIP-Plätzen. Kurz: Das Ganze war eine rundum gelungene Beerdigung, für die man hätte sterben können. Dann jedoch haben die Träger den Sarg angehoben und ihn durchs Hauptportal der kleinen Kapelle getragen. Als sie plötzlich gegen den Pfeiler rannten, ertönte aus dem Sarg ein leises, dumpfes Stöhnen: »Ooooooohhhhhhhhhhhh …«
Alle bis in dieser Sekunde trauernden Gesichter
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