Je sueßer das Leben
wartete.
»Erbaut 1873«, las er laut vor. Er sah Livvy und Julia an, seine Augen leuchteten vor Begeisterung. »Das heißt, er ist 128 Jahre alt!«
Sie hatte Josh damals für seine Rechenkünste bewundert, dabei war Mathe wirklich keine seiner Stärken. Aber er errechnete spielend die Jahre, während sie in der Geschichte des Leuchtturms lasen, wann die Gegend hier das erste Mal vermessen worden war, wann der Grundstein für den Leuchtturm gelegt wurde und wie lange die verschiedenen Leuchtturmwächter ihren Dienst getan hatten.
Als sie wieder aufbrechen mussten, spendierte Livvy ihnen allen noch ein Souvenir, das sie sich an einem Verkaufsstand aussuchten – sie selbst wählte einen Magneten aus, Josh bekam eine Schneekugel mit einem Leuchtturm und Julia eine riesige Einkaufstasche mit blauen Längsstreifen.
»Meinst du wirklich, dass genug Platz darin ist für deine ganzen Sachen?«, frotzelte Livvy beim Zahlen.
»Eine geräumige Tasche kann man immer brauchen«, verteidigte sich Julia. Sie war völlig hingerissen von der Tasche. »Sie eignet sich prima für künftige Ausflüge, was, Josh? Vielleicht klappern wir ja sämtliche Leuchttürme am See ab?« Das waren um die 120.
Josh warf jubelnd die Arme in die Luft. »Darf ich dann wieder Schule schwänzen?«
Julia lachte. »Na, mal sehen.«
»Darf ich auch mitkommen?«, fragte Livvy, besorgt, dass sie übergangen werden könnte. Schließlich war das Ganze ihre Idee gewesen.
»Na, klar!« Julia legte Livvy einen Arm um die Schulter und drückte sie. Sie blickte Livvy in die Augen und flüsterte ihr ins Ohr: »Danke, Livvy.«
Livvy war vor Freude errötet, weil sie etwas Gutes getan hatte, etwas Richtiges. Aber dann hatte sie der Alltag wieder eingeholt, sie hatte sich eine Stelle suchen müssen, und sie fanden nie die Gelegenheit, den Ausflug zu wiederholen.
Livvy starrt die Tasche an und fragt sich, was Julia darin wohl alles mit sich herumschleppt und warum sie die Tasche überhaupt noch besitzt. Die alte Julia hätte sie schon längst in die Kleidersammlung gegeben. »Soll ich noch mal mit Edie über den Artikel sprechen?«, fragt Livvy, um sich wieder der Gegenwart zuzuwenden.
»Was? Ach, nein, es ist mir egal.« Julia reibt mit dem Finger über einen Flecken an der Schreibtischkante. Sie zuckt die Achseln. »Es ist nicht wichtig. Diese ganze Freundschaftsbrot-Sache hat mir nämlich einen Riesenspaß gemacht. Das hätte ich nie gedacht.«
»Kann ich mir vorstellen.« Livvy denkt daran, dass Edie meint, ihre Schwester hätte die Sache ins Rollen gebracht. Das glaubt sie zwar nicht, aber jetzt, wo sie Julia mit dieser albernen Einkaufstasche sieht, wird sie plötzlich unsicher. »Findest du es eigentlich nicht auch merkwürdig, dass du die Erste in Avalon warst, die dieses Freundschaftsbrot gebacken hat?«
Julia ist erstaunt über die Frage. »Nein. Ich war doch auch gar nicht die Erste.«
»Aber es hat keiner vor dir damit angefangen.«
»Nun, offenbar doch, denn irgendjemand hat mir den Teig ja gegeben. Darum geht es doch auch bei dem Brot – dass es immer weitergereicht wird.«
Livvy ist noch nicht überzeugt. »Aber findest du es denn nicht seltsam?«
»Was soll denn daran seltsam sein? Derjenige, der mir den Teig vor die Tür gelegt hat, wollte einfach nur nett sein.«
»Aber wer hat ihn dorthin gelegt?« Livvy weiß, dass sie damit aufhören sollte nachzubohren, aber sie kann nicht. Sie will es jetzt wissen. »Hat jemand etwas gesagt? Du weißt schon, so was wie: ›Hast du eigentlich den Freundschaftsbrotteig gefunden, den ich auf deine Veranda gelegt habe?‹«
Julia zieht irritiert die Augenbrauen zusammen. »Nein.«
»Komisch, oder? Bist du denn überhaupt nicht neugierig? Also ich an deiner Stelle wäre das. Ich würde überall herumfragen. Ich würde es wissen wollen. Willst du es denn nicht wissen? Oder hast du herumgefragt?«
Julia nimmt ihre Tasche. Sie sieht ihre Schwester an, von der Offenheit, mit der sie das Büro betreten hat, ist nichts mehr zu spüren. »Nein, ich habe nicht herumgefragt, weil es mir egal ist. Die Geschichte ist es nicht wert, in der Zeitung abgedruckt zu werden, Livvy, es geht nur um Freundschaftsbrot. Das kannst du auch deiner Journalistenfreundin ausrichten.«
Livvy fällt die Kinnlade herunter. »Ich habe doch nur gemeint, dass ich es nicht verstehe.« Das hört sich selbst in ihren Ohren fadenscheinig an.
Julia geht schnell zur Tür. Dort bleibt sie stehen und sagt ruhig: »Gerade du solltest
Weitere Kostenlose Bücher