Je sueßer das Leben
sie ihm ein gutes Gebiss, mit dem er klarkommt, dann kann sein Zahnfleisch vielleicht heilen. Gesundes Zahnfleisch ist wichtig. Gut, dass Dr. Tindell es rechtzeitig erkannt hat!«
So in etwa verlaufen sämtliche Gespräche. Oma nimmt Norman nichts krumm, im Gegenteil, so bleibt die Beziehung lebendig. Dieses Jahr feiern sie ihren fünfundvierzigsten Hochzeitstag. Das nennt sie wahres Glück.
Als Oma jedoch auf den fünften Beutel mit Teig blickt, den ein wohlmeinender Nachbar ihnen vor die Tür gelegt hat, denkt sie nur:
So ein Pech.
Norman ist dagegen hocherfreut. »Noch mehr Freundschaftsbrot!«, jauchzt er. Er liebt Freundschaftsbrot, besonders Omas Kaffeekuchen-Variante mit Streuseln und einer Frischkäse-Füllung.
Oma nimmt den Beutel, marschiert damit ins Haus und stopft ihn in den Gefrierschrank. Sie wirft die Tür zu. »Ich habe keine Lust mehr zum Backen, Norman!«
»Ach, komm, Oma«, versucht ihr Mann sie zu bezirzen. »Du machst das beste Freundschaftsbrot, das ich kenne. Und das sage ich nicht so dahin.« Norman umarmt seine Frau. »Es ist fast so süß wie du.« Er küsst sie auf den Hals.
Oma gefällt es, dass Norman immer noch mit ihr flirtet, aber das würde sie nie zugeben. »Norman Frank, hör sofort auf damit!« Sie tut so, als würde sie sich gegen seine Umarmung wehren. Schließlich reißt sie die Gefrierschranktür wieder auf und befreit einen der Beutel aus der Kälte. »Na gut. Ich werde einen Beutel backen, zwei Laibe.«
»Nur zwei?« Norman wirkt enttäuscht. »Die sind bis zum Wochenende ja schon wieder weg. Wie wär’s mit einem zusätzlichen Beutel?«
»Norman Frank …« Ihre Stimme hat einen drohenden Unterton.
»Nein, nein, zwei Laibe sind völlig ausreichend.« Norman schaltet den Fernseher ein, um sich die Morgennachrichten anzusehen.
Oma drückt den Beutel und legt ihn auf das Schneidebrett auf dem Küchentisch. »Es heißt, diesen ganze Unsinn hat die Frau in Gang gesetzt, deren Sohn von den Bienen umgebracht wurde.«
Norman dreht den Kopf zu ihr. »Du meinst den kleinen Evarts?«
»Ja, das habe ich gehört. Alle Hinweise deuten in ihre Richtung. Am liebsten würde ich diese Beutel nehmen und sie ihr vor die Tür werfen!« Sie hat auch gehört, dass das einige Leute bereits gemacht haben, und sie kann es durchaus verstehen, auch wenn sie es nicht unbedingt gutheißt.
Norman schaltet den Fernseher aus und lehnt sich in seinem Sessel zurück. Er wird diesen Tag nie vergessen. »Es waren keine Bienen«, sagt er.
Oma geht ihre Vorräte durch und schreibt etwas auf eine Einkaufsliste. »Was?«
»Es waren keine Bienen. Es war eine Wespe.« Er war gerade an dem Haus vorbeigefahren, als der Junge im Vorgarten zusammenbrach. Als er zu ihm lief, war die Wespe schon davongeflogen. Der Junge konnte nicht sprechen, und er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, bis seine Tante aus dem Haus kam. Wenn er früher Bescheid gewusst hätte, hätte der Junge vielleicht noch gerettet werden können.
Norman schüttelt seufzend den Kopf.
Oma bemerkt die ernste Miene ihres Mannes. »Es ist eine Tragödie«, sagt sie leise. »Er war zehn, oder?«
Norman nickt. Sie haben keine eigenen Kinder – irgendetwas mit Omas Eierstöcken –,und der kleine Evarts hatte so ausgesehen, wie er sich einen Enkel gewünscht hätte. Bei der Beerdigung starrte er das Foto des Jungen an, auf dem er ganz anders aussah als zu dem Zeitpunkt, als er vor ihm gelegen hatte. Er fühlte sich hilflos und wünschte, er wäre eine Minute früher da gewesen, und gleichzeitig wusste er, dass das nichts geholfen hätte.
Oma überfliegt ihre Liste. Sie braucht noch mehr Mehl, Zucker, Frischkäse. Zimt könnte auch nicht schaden. Sie dreht sich zu Norman um, der traurig aussieht. Und alt. Das findet Oma sonst eigentlich nicht, auch nicht, was sie selbst angeht, aber im Moment sieht er genau so aus.
Alt.
Der Tod des kleinen Evarts vor fünf Jahren hat Norman sehr mitgenommen, wie Oma weiß. Trotzdem hält er an der Überzeugung fest, dass auch dahinter irgendein höherer Grund stecken muss.
Bislang hat er sich nur noch nicht offenbart. Oma sagt lieber nichts dazu.
Sie prüft noch einmal die Zutaten. Sie ist eine gute Köchin, sie weiß genau, was und wie viel sie davon jeweils braucht. Daher ist es verwunderlich, dass sie noch einmal die Einkaufsliste durchgeht.
Als ihr der Grund bewusst wird, hält Oma inne. Sie streicht die Mengenangaben durch und schreibt stattdessen die neuen Mengen auf. Dann geht sie zum
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