Je sueßer das Leben
Cooking ist ihre Bibel geworden, ihre Anleitung zum guten Leben. Das Buch ist umso wertvoller für sie, weil Madeline es ihr geschenkt hat, aber auch weil sie in Avalon angefangen hat, es zu lesen – und danach zu kochen. In Avalon hat sie endlich begriffen, wer sie wirklich ist und was sie wirklich will. Wozu sie imstande ist.
Sie ist eine Frau, die allein sein kann, die eine Scheidung durchstehen kann. Sie ist eine Frau, die ein Ziegenkäse-Walnuss-Soufflé zustande bringt, die jemandem zeigen kann, wie man den Cellobogen führt und dem Instrument wunderschöne Klänge entlockt. Sie ist eine Frau, die mit ihren achtundzwanzig Jahren schon mehr auf die Beine gestellt hat als die meisten anderen in ihrem ganzen Leben. Am wichtigsten aber, sie ist eine Frau, die gelernt hat, dass man nichts davon für selbstverständlich nehmen soll. Und dafür ist Hannah dankbar.
»Gracie, wir kommen zu spät!«, ruft Julia ihre Tochter.
Gracie schleppt ihren kleinen Cellokasten in die Diele. »Die Frauen wollten, dass ich noch mal ›Row, Row, Row Your Boat‹ spiele«, keucht sie.
»Ich bin sicher, dass sich Tante Livvy mindestens ebenso sehr freut, wenn du ihr dein Lied vorspielst«, sagt Julia und nimmt Gracie den Kasten ab. Es hat sich gezeigt, dass Julia kein besonderes musikalisches Talent hat, Gracie dafür umso mehr. »Aber wenn wir nicht bald losfahren, wird daraus heute nichts mehr.« Sie zieht Gracie den Daunenanorak an, dann Fäustlinge, Schal und Wollmütze. Es ist noch ein paar Grad kälter geworden, und am Abend soll es schneien.
»Das macht nichts. Meine Finger tun sowieso weh.« Gracie wedelt mit den Händen.
Julia knöpft ihren Mantel zu, dann steckt sie den Kopf noch einmal in den Teesalon. »Wir machen uns auf den Weg, Connie. Ihr kommt hier zurecht?«
»Ja, klar.« Connie winkt ihnen zu. »Dann bis übermorgen.«
»Hast du Hannah gesagt, dass wir morgen nicht zum Unterricht kommen?«, fragt Gracie auf dem Weg zum Auto, in dem Mark wartet.
»Ja. Sie hat gesagt, dass wir die Stunde nächste Woche nachholen können, keine Sorge.« Julia macht die hintere Tür auf, und Gracie klettert auf die Rückbank. Sie klopft neben sich, damit Julia ihren Cellokasten dorthin stellt.
Mark telefoniert, er klingt ruhig, sieht aber aufgeregt aus. »Sicher, Ted. Das hört sich ausgezeichnet an. Nein. Ja, klar. Genau. Ihnen auch. Bis dann.« Er legt auf und steckt das Handy in die Tasche in seinem Gürtel. »Das war Ted Morrow von Bluestem Estates. Sie haben die Pläne für die Modellhäuser abgesegnet und fangen nächste Woche mit dem Aushub an.«
Julia versucht gerade, den Sicherheitsgurt von Gracies Kindersitz zu entwirren, und hält einen Moment inne, um ihren Mann anzulächeln. »Das ist ja eine tolle Nachricht, Mark! Herzlichen Glückwunsch.« Sie weiß, wie viel ihm das Projekt bedeutet, und freut sich über die Fortschritte.
»Danke.« Glücklich trommelt er auf das Lenkrad.
Endlich schafft es Julia, den Sicherheitsgurt zu schließen, und sie küsst Gracie noch schnell auf die Wange, bevor sie die Tür zuschlägt. Livvys Wehen setzten vorzeitig ein – zwei Wochen zu früh, genau wie bei Josh –, und sie hat vor ein paar Stunden einen kleinen Jungen zur Welt gebracht.
Tom hat ihnen per Handy ein Foto geschickt, und Mark und Julia waren sprachlos angesichts der Ähnlichkeit zwischen Aiden und Josh. Er hat einen Schopf rotblonder Haare, dieselbe Nase, dieselben Wangenknochen. Leider hat Aiden auch, wie Mark mit einem Lachen bemerkt, Toms etwas zu flach geratene Stirn.
»Na, du erinnerst dich wohl nicht mehr, wie die Leute gelästert haben, dass Josh deine Riesenohren geerbt hat, was?«, erinnert Julia ihn und zieht ihn an einem Ohrläppchen.
Mark schüttelt den Kopf und bedeckt seine Ohren schützend mit den Händen. »Ich habe keine Riesenohren«, sagt er. »Ich habe Charakterohren.«
»Und zwar mit viel Charakter«, ergänzt Julia und kreischt, als Mark nach ihr greift, um sie zu kitzeln.
Julia will sich gerade anschnallen, als sie ein Paar bemerkt – vielmehr eine kleine Familie, da die Frau ein Baby im Arm hält –, das auf dem Bürgersteig vor dem Teesalon steht und unsicher hineinsieht.
»Die sehen aus, als hätten sie sich verirrt«, murmelt Julia. Die beiden gucken auf ein Stück Papier und dann wieder zum Teesalon.
Mark sieht auf die Uhr. »Julia, wir müssen los. Ich möchte nicht in den Feierabendverkehr kommen.«
»Ich weiß. Nur eine Minute, Mark.« Julia steigt aus und geht schnell über
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