Je sueßer das Leben
gerät Julia ins Stocken, bevor sie weiterredet, »ich meine, mein Mann, meine Tochter und ich, also da haben wir uns richtig darauf gefreut. Wir haben zwei Laibe gebacken und das meiste von dem einen innerhalb von zehn Minuten verdrückt.« Ein Lächeln stiehlt sich auf Julias Lippen, vielleicht waren es auch nur fünf. »Gracie hat den anderen Laib und einen Beutel Teig heute mit in den Kindergarten genommen.«
Schließlich lässt sich Hannah überreden. »Ich bin eine schreckliche Köchin, aber ich muss mich irgendwie ablenken. Und das hier scheint eine ganz nette Ablenkung zu sein.«
Wieder ertönt das mittlerweile vertraute Bimmeln der Türglocke, und ein älteres Paar tritt ein, eine Straßenkarte in der Hand und offensichtlich streitend. Ohne die Frauen zu beachten, setzen sie sich, und der Mann bestellt eine Kanne Earl Grey.
»Tja, die Arbeit ruft«, sagt Madeline fröhlich und stemmt sich vom Tisch hoch. Sie steckt ein Geschirrtuch in ihre Schürze.
Julia sieht auf die Uhr – Zeit, Gracie abzuholen. Sie zahlt und gibt ein großes Trinkgeld, auch wenn es Madelines großzügigem Geschenk längst nicht gerecht wird.
Nach den vertrauten Gesprächen in den letzten Stunden weiß sie gar nicht, wie sie sich verabschieden soll. Julia zögert, sucht nach den richtigen Worten, aber dann hilft Madeline ihr aus ihrer Verlegenheit, indem sie sie fest umarmt. Madeline ist viel stärker, als ihre zierliche Gestalt vermuten ließe, und sie riecht wundervoll – sauber und frisch. Julia möchte sich überhaupt nicht mehr aus dieser Umarmung lösen.
Auch Hannah wird von Madeline umarmt, und sie blinzelt ein paar Tränen weg und lächelt tapfer. Dann scheucht Madeline die Frauen zur Tür hinaus und winkt ihnen kurz nach.
Kapitel 5
So hat Mark seine Frau seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt. Die Julia der letzten fünf Jahre war in sich gekehrt und hat weder alte Freundschaften gepflegt noch neue geschlossen. Die Julia der letzten fünf Jahre verhielt sich ihm gegenüber aggressiv und weigerte sich oft tagelang, mit irgendjemanden außer Gracie zu reden. Die Julia der letzten fünf Jahre lächelte kaum, nicht einmal als Gracie zu krabbeln und dann zu laufen anfing und schließlich Rad fahren lernte. Und lachen? Wie ging das noch mal?
In den Trauergruppen, die Mark besuchte, erfuhr er, dass viele Ehen den Tod eines Kindes nicht überstanden. Zuerst hatte er sich deswegen keine Sorgen gemacht, weil sie nicht nur Mann und Frau waren, sondern vor Joshs Tod auch die besten Freunde – sie kannten sich in- und auswendig. Keiner sonst wusste, was sie durchmachten, nicht einmal andere trauernde Eltern, weil sich deren Verlust immer irgendwie von ihrem unterschied – entweder waren die Umstände anders, die familiäre Situation oder die Kinder. Und weil das so war, hatten Mark und Julia nur einander. Sie waren die einzigen Menschen, die ihren Verlust wirklich ermessen konnten.
Irgendwann dann veränderte sich die Trauer. Es war nicht mehr ihre gemeinsame Tragödie, ihre gemeinsame Trauer – es war nur noch die von Julia. Mark konnte das irgendwie verstehen – sie und Josh waren sich schließlich sehr nah gewesen, fast so etwas wie siamesische Zwillinge. Dieselben wilden, lockigen Haare, dasselbe schelmische Lächeln. Außerdem ist Mark der Vater, nicht die Mutter. Das macht zwar seine Trauer nicht kleiner, aber es ist einfach nicht dasselbe.
Julia hatte Josh neun Monate in sich getragen und eine fast sechsunddreißigstündige schwere Geburt durchgestanden, bis er endlich auf die Welt kam. Sie war diejenige, die nachts aufstand, wenn Josh eine Kolik hatte. Sie stillte ihn länger als ein Jahr. Mark weiß, dass die Mutter-Kind-Beziehung vielschichtig ist, eine ursprüngliche Bindung, von daher ist es klar, dass sich Julias Verlust von Marks unterscheidet.
Dennoch hatte er nicht damit gerechnet, dass sie sich davontreiben ließ, dass sie die Boje, an der sie sich beide festhielten, loslassen könnte. Sie entfernte sich und ließ ihn allein zurück. Er liebt sie deswegen nicht weniger, aber inzwischen fragt er sich, ob dasselbe für Julia gilt.
Kann man jemanden lieben und nicht mehr mit ihm zusammen sein wollen? Das ist die Frage, die er sich lieber nicht stellt, aber das bringt sie nicht zum Verschwinden. Mark ist ein geduldiger Mann, aber worauf er eigentlich wartet oder ob Julia ihn überhaupt noch will, das weiß er nicht mehr. Er fühlt sich wie ein Störenfried, das lästige Überbleibsel eines Lebens, das sie einmal
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