Je sueßer das Leben
kostspieligsten Geschenke, die Mark je in seinem Leben bekommen hat. Er fragt sich, wie Vivian bei der momentanen Hektik im Büro die Zeit dafür fand.
Als es an der Tür klopft, zuckt er zusammen. Seine Sekretärin, die vierundfünfzigjährige Dorothy Clement, segelt herein.
»Guten Morgen«, sagt sie knapp und hebt dabei nicht einmal die Augen von ihrem Notizbuch. Dorothy ist regelrecht darauf fixiert, immer rennt sie mit einer ihrer Checklisten herum, um sicherzugehen, dass sie bloß nichts übersieht. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe, stets die Aufgaben der anderen im Blick zu haben, was von unschätzbarem Wert war, als Mark zwar körperlich, aber nicht geistig anwesend war. Sie hielt ihn ständig auf dem Laufenden, während seine Anwesenheit sich im Wesentlichen darauf beschränkte, Lohnschecks auszustellen.
Es entgeht Mark nicht, dass Dorothy kein Wort über das Geschenk auf seinem Schreibtisch verliert und keinerlei Interesse daran zeigt, von wem und was es ist. »Victor hat heute früh angerufen, um Bescheid zu geben, dass alles gut läuft, und lässt grüßen. Er wollte auch wissen, ob Sie schon mit Ted Morrow sprechen konnten, der die Planung der neuen Wohnsiedlung in Edison leitet. Ted hat einen Vortrag über ökologische Modulbauweise gehalten, der auf YouTube zu sehen ist und wohl ziemlich gut angekommen ist.«
Modulbauweise? Also bitte. Mark ist wirklich kein Snob, aber er hatte seit jeher den Ehrgeiz, neue Maßstäbe zu setzen, und das ist bei einer Modulbauweise mit vorgefertigten Elementen sicher nicht möglich. Anders als bei dem Projekt von Bruno Lemelin.
Mark entdeckt einen Fleck auf dem Silberdeckel des Kompasses. Er poliert mit dem Filzsäckchen darüber, wobei er darauf achtet, nicht zu fest zu drücken. »In Ordnung, ich werde ihn anrufen.«
»Victor sagt, dass er ja auch mit ihm reden würde, aber Ted wollte gerne mit Ihnen sprechen, um zu erfahren, was Sie von dem Projekt halten.« Dorothy tut so, als würde sie etwas in ihr Notizbuch schreiben, während Mark seinen Kompass bestaunt. »Wenn Sie Ted nicht anrufen wollen, sollten Sie Victor informieren.«
»Mhm.« Er nickt kurz.
Sie räuspert sich. »Sonst ruft er ihn an, damit er sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlt.«
Mark sieht verärgert auf. »Ich werde Ted anrufen, Dorothy.«
Sie wirft ihm einen bohrenden Blick zu. »Und wann? Sie wollten das schon vor zwei Wochen tun.«
»Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten, ging es hier in den letzten zwei Wochen ziemlich heiß her.« Er bedenkt sie mit einem nicht weniger bohrenden Blick, ihm macht das kleine Geplänkel Spaß. Es ist wie früher. Er hat es vermisst. »Ich wollte Victor sowieso anrufen, aber irgendwie komme ich mit der Zeitdifferenz nicht klar.«
»Die Türkei ist uns um sieben Stunden voraus.«
»Okay.«
Dorothy setzt ihn noch über einige andere Dinge in Kenntnis und schlägt dann vor, eine kleine Büroparty zu veranstalten, um den Lemelin-Deal zu feiern – Sekt, Kuchen, Kinokarten, etwas in der Art. Mark ist einverstanden. Es ist eine prima Idee.
In der Tür bleibt Dorothy noch einmal stehen. »Ach ja, Vivian ist heute krank, Magenverstimmung.« Ihr Gesichtsausdruck ist unergründlich. Oder bildet Mark sich das nur ein?
Kaum ist sie gegangen, schnappt sich Mark sein Telefon und wählt Vivians Nummer. Sie hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass das Lemelin-Projekt zustande gekommen ist, daher sollte die Party nicht ohne sie über die Bühne gehen.
Beim dritten Klingeln hebt sie ab, ihre Stimme klingt müde. »Hallo«, sagt sie leise.
»Hallo.« Mark räuspert sich, plötzlich weiß er nicht mehr, was er sagen wollte. »Wie geht es dir?«
»Willst du eine ehrliche Antwort? Beschissen. Ich muss mir irgendwo einen Virus eingefangen haben.«
»Das tut mir leid.« Es tut ihm wirklich leid. Vivian macht normalerweise einen zähen Eindruck, da ist es ganz ungewohnt, sie plötzlich so erschöpft zu erleben.
»Kann passieren. Bald bin ich wieder auf den Beinen.«
Eben, sie ist zäh.
»Brauchst du irgendetwas? Ich bring’s dir vorbei.« Die Frage ist ihm rausgerutscht, bevor er darüber nachdenken konnte, und er ist froh, dass sie nein sagt.
»Hast du mein Geschenk bekommen? Ich habe es gestern Abend auf deinen Schreibtisch gelegt«, fragt sie ihn.
Mark betrachtet den Kompass. Die Magnetnadel mit der roten Spitze zeigt auf O, und Mark dreht den Kompass, bis die Nadel auf N zeigt. Ihm fällt ein, dass Julia vor ihrem Zelturlaub versucht hat zu
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