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Je sueßer das Leben

Je sueßer das Leben

Titel: Je sueßer das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Darien Gee
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lassen. Denk an deinen Mann, denk an Gracie. Auf dich wartet noch dein ganzes Leben. Du wirst wieder glücklich sein, Julia.« Als Julia nicht darauf reagierte, seufzte Rebecca nur und küsste ihre Tochter zum Abschied.
    An der Tür zögerte Rebecca. Unvermittelt umarmte sie Julia und drückte sie an ihre Brust. »Ruf Livvy an«, flüsterte sie ihr ins Ohr, und Julia spürte, dass die Wange ihrer Mutter feucht war, ohne zu wissen, wer von ihnen beiden weinte. » Sprich mit ihr, Julia .« Und damit ging sie.
    Tagelang dachte Julia darüber nach, überlegte, ob sie Livvy anrufen oder sogar besuchen sollte. Aber sie brachte es nicht über sich, sie hätte es nicht ertragen, eine Erklärung oder Entschuldigung von ihrer Schwester zu hören. Sie erinnerte sich an ihre Unsicherheit im Krankenhaus, als sie der Polizei berichtete, was geschehen war, ihre Nervosität, wie ihre Augen hin und her schossen, besorgt, dass man ihr die Schuld geben könnte.
    Und damit hatte sie recht, Julia gab ihr die Schuld. Livvy hätte Josh wie geplant gleich nach Hause fahren sollen. Sie hätte ihn nicht allein im Garten lassen, nicht um Hilfe bitten dürfen, und wenn, dann hätte sie wenigstens bei ihm bleiben müssen. Sie hätte die Autotür nicht abschließen dürfen. Sie hätte ihn einfach keine Sekunde allein lassen dürfen.
    Stattdessen hätte sie ihren faulen Mann dazu bringen sollen, sich wie alle Hausbesitzer in Avalon um den Garten zu kümmern, damit die Wespen gar kein Nest am Haus hätten bauen können. Sie hätte Julias Rock früher zurückgeben, oder besser noch, ihn sich gar nicht erst leihen sollen. Sie hätte einen kühlen Kopf bewahren sollen, als Josh dalag, und sich daran erinnern, dass ihm eine Dosis Epinephrin das Leben retten würde. Als Livvy das endlich einfiel, war es zu spät.
    Julia ist unbegreiflich, wie Livvy das vergessen konnte. Livvy kannte diesen Jungen vom Tag seiner Geburt an. Sie war sogar bei der Geburt dabei gewesen. Sie war seine Patentante. Josh liebte sie. Darüber hinaus stand es zu Beginn jedes Schuljahrs und jedes Zeltlagers in dicken Lettern in der Zeitung:
    ALLERGIEN. BIENEN. GEFAHR EINES
ANAPHYLAKTISCHEN SCHOCKS.
EPIPEN JEDERZEIT GRIFFBEREIT HALTEN.
    Julia weiß, dass Livvy das weiß. Sie hat in Julias Namen entsprechende Vordrucke für die Schule ausgefüllt. Warum musste Livvy gerade in diesem Moment den Kopf verlieren?
    Im Krankenhaus standen sie alle nur da, völlig unter Schock, bis Julias Vater sie schließlich in das Wartezimmer führte, wo sie Formulare ausfüllen und überlegen mussten, ob sie einer Organspende zustimmten –Dinge, zu denen sie niemals hätten gezwungen sein dürfen. Julia saß auf einem der harten Plastikstühle, neben sich Mark und Livvy, ihre Eltern und Tom gegenüber. Alle weinten, und Julia konnte keinen klaren Gedanken fassen, hörte es nicht, wenn sie angesprochen wurde. Sie konnte nur daran denken, wie Josh an diesem Tag zur Schule aufgebrochen war, seine Abschiedsworte, auf die sie in dem Moment kaum geachtet hatte. Sie hatte ihm gesagt, er solle sein T-Shirt in die Hose stecken, und er hatte es seufzend getan. Das war alles.
    Das war alles.
    Sie merkte, wie sich plötzlich eine Mauer um sie schloss, hinter der alle verschwanden – ihr Mann, ihre Schwester, ihre Eltern. Sie konnte nicht fassen, dass Livvy das zugelassen hatte, und als sie dann zu akzeptieren begann, dass es nicht ganz allein Livvys Schuld war, wollte sie sich nicht damit abfinden, dass Livvy die Letzte war, die Josh vor seinem Tod gesehen hatte. Es hätte sie, Julia, sein sollen, nicht Livvy.
    Ihre Eltern kommen einmal im Jahr zu Besuch. Sie rufen an, und hin und wieder schreiben sie auch, zumeist Geburtstagskarten für Gracie, in die liebevoll ein Zehndollarschein geklebt ist. Sie haben Mark und Julia eingeladen, sie zu besuchen, und versprochen, auf Gracie aufzupassen und ihr ein paar unvergessliche Tage zu bereiten, aber Julia möchte nicht verreisen. Sie möchte bleiben, wo sie ist, in der Nähe von Josh. Sie lässt ihn nicht allein.
    Anfangs begleitete Mark sie immer auf den Friedhof, manchmal nahmen sie auch Gracie mit. Aber die täglichen Besuche deprimierten ihn irgendwann, und von da an besuchte sie Joshs Grab allein. Sie weiß, dass Mark gelegentlich von sich aus hingeht, weil frische Blumen oder ein neuer Baseball auf dem Grab liegen. Einmal fand sie einen Schoko-Karamell-Riegel auf dem Grabstein, ohne Briefchen. Josh hatte diese Riegel geliebt, aber weil er so schlimme Karies hatte,

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