Je sueßer das Leben
Irma Rombauer mit vierundfünfzig ganz neu anfangen und ein Buch schreiben konnte, wird Hannah ja wohl auch eine Möglichkeit finden, etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie presst es an die Brust. »Vielen Dank, Madeline.«
Ein leises Donnergrollen ist zu hören. Die beiden Frauen sehen aus dem Fenster, die ersten dicken Regentropfen prasseln gegen die Hauswand.
Der Regenguss kommt aus heiterem Himmel. Langsam wird Madeline klar, wie verwöhnt sie an der Westküste gewesen war, wo es Sonne und blauen Himmel im Überfluss gab. Sie hat vergessen, dass das Wetter im Mittleren Westen sehr viel wechselhafter ist, eben ist es noch trocken und sonnig, und im nächsten Moment fängt es an zu schütten.
Sie lässt Hannah mit Joy of Cooking zurück, um nach den Zwiebeln zu sehen. Aus dem Backofen kommt ihr ein göttliches Aroma entgegen. Perfekt. Vorsichtig zieht sie den Topf heraus und stellt ihn bei mittlerer Hitze auf den Herd. Die goldbraunen Zwiebeln sind genau richtig. Sie rührt sie um und wartet, bis die Flüssigkeit verdampft ist und sich eine feine Kruste auf dem Boden bildet.
Dann fügt sie etwas Wasser hinzu und rührt noch einmal kräftig um, um die Kruste vom Boden zu lösen. Das macht sie so lange, bis die Zwiebeln dunkelbraun sind. Während sie darauf wartet, dass die Flüssigkeit verkocht, nimmt sie ein Baguette aus dem Brotkorb und schneidet es auf, die Scheiben legt sie auf ein Backblech. Das kommt später für zehn Minuten in den Ofen, bis sie knusprig und leicht gebräunt sind. Wenn sie die Suppe morgen serviert, wird sie eine Scheibe obendrauf legen, Gruyère darüberstreuen und das Ganze kurz unter den Grill stellen. Es ist eines ihrer Lieblingsrezepte aus Cooks Illustrated, und sie kann es gar nicht erwarten, es selbst zu essen.
Da bringt ein Donnerschlag das Haus zum Zittern, und Madeline zuckt erschrocken zusammen.
»Haben Sie das gehört?«, fragt Hannah, als sie in die Küche tritt. Sie hat die Decke um ihre Schultern gelegt und hält das Buch im Arm.
Madeline nickt. »Ja. Ein richtiges Unwetter. Damit werden wir die nächsten beiden Monate wohl öfter rechnen müssen.«
»Nein, ich meinte das Klopfen an der Tür.«
Die Frauen sehen sich einen Moment lang an. Madeline lauscht angestrengt. Zuerst denkt sie, dass ein Zweig gegen das Haus schlägt, aber dann hört sie es wieder. Eindeutig, es klopft.
»Vielleicht ist es Julia«, sagt sie, und Hannah nickt, auch wenn sie nicht ganz überzeugt scheint. Madeline macht sich keine Gedanken, in Avalon gibt es praktisch keine Verbrechen.
Nun gut, vielleicht hat sie ein bisschen Angst. Man sollte sich heutzutage einfach nicht zu sicher fühlen, auch sie nicht. Draußen ist es stockdunkel, und Madeline denkt plötzlich, dass nachts alles sehr viel unheimlicher wirkt. »Kommen Sie mit«, bittet sie Hannah. Zusätzlich bewaffnet sie sich auf dem Weg zur Tür noch mit einem Nudelholz.
Madeline hat vergessen, die Außenbeleuchtung einzuschalten, aber sie kann eine dunkle Gestalt auf der Veranda ausmachen. Hannah steht gleich hinter ihr, und Madeline wird klar, wie albern sie sich aufführen. Wenn Steven sie sehen könnte, würde er sich ausschütten vor Lachen. Sie kann ihn geradezu kichern hören, und das reicht, dass sie sich zusammenreißt und das Nudelholz beiseitelegt. Sie drückt einen Lichtschalter, und plötzlich sind Flur und Veranda hell erleuchtet.
»So leicht löst sich ein Rätsel.« Sie öffnet die Tür und zieht die bis auf die Haut durchnässte Julia ins Haus.
»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, stammelt Julia. Trotz ihres Mantels zittert sie, ihre Locken kleben ihr an der Stirn. Auf Madelines Nicken hin legt Hannah Julia die Decke um die Schultern. »Mein Mann hat sich verspätet, und als ich dann endlich hier ankam, wusste ich nicht, ob ich nicht störe, und deshalb bin ich ein paar Schritte gelaufen und habe nachgedacht …«
Ein paar Schritte gelaufen und nachgedacht? Bei dem Wetter? Ohne Schirm? Madeline glaubt ihr nicht, und wahrscheinlich glaubt sich Julia selbst nicht. »Kommen Sie«, fordert sie Julia auf. Sie will zurück in die Küche, wo es warm ist, und ein Feuer anmachen. Sie nimmt Julias eiskalte Hand. »Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.«
»Ich musste«, sagt Julia. Madeline sieht, dass sie geweint hat. »Ich hätte es zu Hause nicht ertragen.«
Julia sitzt in die Decke gehüllt da, während Madeline Scheite in den schmiedeeisernen Ofen schichtet. Julia hat sich aus ihren nassen Kleidern geschält und trägt
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