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Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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hat jesacht, da bleibt nischt zurück. Bloß meine Karre is im Eimer. Wenn ick det jetzt mein' Opa erzähle, is Weihnachten for mir jeloofen.«
    »Ich rede morgen mit deinem Großvater«, beruhigt ihn Rolf, »offenbar hat doch Sascha den Unfall gebaut?«
    »Ick habe aber hinten druffjesessen, und det is doch vaboten. Wie det eijentlich allet passiert is, weeß ick selba nich, plötzlich hatte ick die Tür vom Mercedes vor de Neese.«
    »Ist die Polizei dagewesen?«
    »Ach wo, denn würden wir ja noch immer rumsteh'n und Pfeile uff'n Asphalt malen. Den Fahrer kenne ick sowieso, wir rejeln det ohne die Bürokraten. Und jetzt muß ick schleunigst vaduften, sonst jibt meine Mutter noch 'ne Vermißtenanzeige uff, und denn habe ick die Bullen doch am Hals. Ach so, ja, fröhliche Weihnachten! «
    Sascha hat sich inzwischen nach oben begeben und restauriert mit Svens Hilfe sein ramponiertes Äußeres. Die Hemdenknöpfe lassen sich wegen der Verbände an den Armen nicht schließen, in den Blazer kommt er erst gar nicht hinein.
    Um halb sieben findet dann endlich die Bescherung statt. Sie beginnt mit einem Flötenterzett und endet mit einer Debatte, ob eine Küchenmaschine ein Haushaltsgegenstand und daher für die Allgemeinheit nützlich sei, oder ein persönliches Geschenk, weil ich dadurch Arbeit sparte.
    Sven möchte wissen, ob er seinen Pullover umtauschen könne, er hätte ihn lieber in Nachtblau. Den Rasierapparat mit Multischerkopf und Batterieantrieb findet er überflüssig. »Wer sagt denn, daß ich mich überhaupt rasieren will?«
    Eine berechtigte Frage. Wenn man heute Vater und Sohn beieinander sieht, ist der mit dem Bart wahrscheinlich der Sohn.
    Sascha hört sich zum drittenmal die neue Otto-Platte an. Noch zweimal, und er kann sie auswendig.
    Stefanie mault. Der Samtrock ist zwar sehr schön, und sie habe sich ja auch etwas Festliches gewünscht, aber es gebe doch auch Samthosen, nicht wahr?
    Nur die Zwillinge sind rundherum zufrieden. Katja hat ihre Marionette zwar schon kaputtgespielt, aber Sven verspricht, die Ente morgen zu reparieren. Nicki liest ›Das Geheimnis der Felsenburg‹ und hat alles um sich herum vergessen. Nein, Hunger habe sie nicht, erklärt sie und stopft sich geistesabwesend eine Marzipankartoffel nach der anderen in den Mund.
    Sascha liegt auf der Couch, leckt seine Wunden und schwört heilige Eide, »nie wieder im Leben so eine verdammte Karre« anzufassen. Morgen vormittag muß er zum Verbandwechsel.
    Gegen zehn klingelt das Telefon. Tante Lotti ist am Apparat. Sie wünscht uns allen ein frohes Fest und meint dann: »Weißt du, mein Liebes, eigentlich ist Weihnachten doch nur dort so richtig schön, wo auch Kinder sind!«
    Ach ja!

10
    »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, daß wir in diesem Jahr mit dem Landschulheim dran sind?«
    Sascha lehnte an der Tür des Arbeitszimmers und peilte vorsichtig seinen Vater an. Immerhin galt es, ihn in homöopathischen Dosen auf die finanziellen Belastungen, die diese Studienreise verursachen würden, vorzubereiten.
    »Landschulheim!« knurrte der potentielle Geldgeber denn auch prompt. »Das ist auch wieder so ein neumodischer Blödsinn, der einen Haufen Geld kostet und nichts bringt. Zu meiner Schulzeit gab es zweimal jährlich einen Wandertag, und wir sind damit ganz zufrieden gewesen. Oder warst du vielleicht im Landschulheim?«
    Damit war ich gemeint. Nein, also Landschulheime hatte ich in meiner Jugend nur aus Büchern gekannt, und soweit ich mich erinnern konnte, waren sie ausschließlich von Kindern reicher Eltern bevölkert gewesen, die nachts mit umgehängten Bettlaken als Gespenster herumgeisterten und tagsüber Pferde fütterten. Wir hatten als Fünfzehnjährige lediglich einen Abstecher nach Berlin-Oranienburg gemacht, tagsüber die Umgebung erkundet und nachts in einer Art Jugendherberge kampiert, wo wir Kamillentee tranken und Brote mit Holundermark aßen. Dafür schrieben wir auch das Jahr I948. Auf einen Mitternachtsspuk hatten wir ebenfalls verzichten müssen, weil es gar keine Bettlaken gab, und so hatten wir uns darauf beschränkt, unserer Klassenlehrerin den Schlafanzug zuzunähen. Und das völlig umsonst, denn sie hatte einen zweiten mit.
    Nach drei Tagen waren wir mit der U-Bahn wieder nach Hause gefahren, und nach fünf Tagen mußten wir über das Erlebte einen Aufsatz schreiben. Sehr ergiebig ist er nicht geworden.
    Sascha hatte mir schon vor ein paar Tagen erzählt, daß das erwählte Landschulheim in Südtirol liege,

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