Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
hören bekommen, die immer in dem Satz gipfelt: »Ich hab's ja gleich gesagt!«
    Rolf setzte sich über alle Wenn und Aber hinweg, sah im Geist schon frische Brötchen auf dem Frühstückstisch, von dienender Hand im Morgengrauen herbeigeholt, sah blankgeputzte Schuhe und Hosen mit messerscharfen Bügelfalten, sah sorgfältig geharkte Gartenwege und eine strahlende Ehefrau, die nichts mehr zu tun hatte und nur darauf wartete, ihrem heimkehrenden Gatten in die liebevoll geöffneten Arme zu fliegen.
    Tante Erna von der Bahnhofsmission tat dann auch das Ihre, um alle etwa vorhandenen Bedenken zu zerstreuen. Die bewußte Dame, eine Frau Mäurer, komme aus gutem Hause, das merke man sofort, sie habe eben nur viel Pech gehabt im Leben, und wenn wir die umgehende Rücksendung der Fahrkosten zusichern könnten, würde sie, Tante Erna, das Fahrgeld vorstrecken. Rolf sicherte zu.
    »Dann können Sie Frau Mäurer um 21.29 Uhr vom Bus abholen, der Zug fährt ja nur noch bis Friedrichshall.«
    Rolf erklärte, daß er selbstverständlich direkt am Zug sein werde, bedankte sich artig, legte den Hörer auf und sagte zu mir: »Du fährst doch schnell nach Friedrichshall, nicht wahr?«
    Frau Mäurer war groß, schlank, blond, dezent geschminkt und sehr jugendlich gekleidet. Sie sah aus wie eine Buchhalterin mit Prokura, keineswegs jedoch wie eine jener Hilfesuchenden, die. man gemeinhin auf Bahnhofsmissionen anzutreffen erwartet.
    Bereits nach einer Viertelstunde kannte ich den ersten Teil ihrer Lebensgeschichte, den zweiten, weitaus gehaltvolleren, erfuhren wir während des verspäteten Abendessens. Frau Mäurer entstammte einer sächsischen Kaufmannsfamilie, war aufgewachsen mit zwei Geschwistern, drei Dienstboten und einer Erzieherin, hatte den falschen Mann geheiratet, hatte sich zu einem falschen Zeitpunkt von ihm scheiden lassen, war später nach Spanien übersiedelt, hatte mit dem falschen Geschäftspartner eine Taverne eröffnet, war pleite gegangen, hatte den falschen Termin für ihre Rückkehr in den Schoß der Familie gewählt und war schließlich aus dem elterlichen Haus und danach aus der DDR hinausgeflogen.
    »Ich durfte nichts mitnehmen, weder meine Garderobe noch erst recht kein Geld. Nur eine Fahrkarte nach Frankfurt habe ich bekommen. Was hier aus mir wird, ist denen da drüben doch völlig egal«, beendete de ihren Bericht, wobei offenblieb, ob mit »denen da drüben« nun die Familie oder die Behörden gemeint waren.
    »Natürlich klingt das ein bißchen phantastisch, aber ich kann alles beweisen!« versicherte Frau Mäurer, kramte in ihrer Handtasche und präsentierte uns einen Stoß Papiere. Pflichtschuldig besah ich mir den spanischen Ausreisestempel im Paß und den Einreisestempel für die DDR, schielte verstohlen auf das Geburtsdatum – danach war Frau Mäurer 53, sah aber jünger aus – und beteuerte abwehrend, daß ich nicht mißtrauisch sei.
    »Allerdings habe ich noch nie im Haushalt gearbeitet, ich war ja immer selbständig und hätte niemals geglaubt, mein Brot als Dienstmädchen verdienen zu müssen, aber das Schicksal hat es so gewollt.«
    Für den ersten Abend reichte es an Theatralik, und to versicherte ich Frau Mäurer, daß sie kein Dienstmädchen, sondern vollwertiges Familienmitglied sei, und im übrigen könne ich es verstehen, wenn sie jetzt erst einmal zur Ruhe kommen wolle. Ihr Zimmer liege im oberen Stockwerk. Wohlversehen mit einem meiner Nachthemden und einer Zahnbürste – »Ich kann nur hoffen, daß mir recht bald meine Sachen nachgeschickt werden!« –, zog sich Frau Mäurer zurück.
    »Na, was meinst du?« fragte ich Rolf, während ich den Tisch abräumte. Er hatte noch keine Meinung. Und meine eigene wollte ich ihm lieber nicht sagen.
    Die Kinder reagierten auf den Zuwachs mit gemischten Gefühlen. Sven und Sascha maulten, als ihr Vater ihnen verbot, sich von Frau Mäurer mit »Sie« anreden zu lassen. Steffi äußerte die Befürchtung, nicht mehr genügend Zeit für ihre morgendlichen Schönheitsprozeduren zu haben, weil jetzt doch jemand da war, der das Bad benutzen würde, und die Zwillinge erkundigten sich als erstes: »Können Sie Mau-Mau?«
    »Nein, was ist das?«
    »Ein Kartenspiel natürlich.«
    »Tut mir leid, ich spiele nur Bridge«, bedauerte Frau Mäurer und ergänzte mit anklagender Miene: »Für derartige Dinge werde ich ohnehin keine Zeit mehr haben, denn ich bin ja zum Arbeiten hier.«
    Und das tat sie dann auch. Jeden Morgen zog sie mit dem gesamten Inhalt des

Weitere Kostenlose Bücher