Jede Nacht mit Charlie
begründete er einen ganz neuen Trend.
Mit einem Wort, er war ein Radio-Naturtalent.
Und Allie stand kurz vor einer Verzweiflungstat. Zum ersten Mal seit unzähligen Jahren galten ihre ersten Gedanken beim Aufwachen nicht dem Sender. Sie galten Charlie. Endlich hatte sie bekommen, was sie wollte: jetzt unterhielten sie sich ständig. Übers Radio, übers Essen, über Politik, über Bücher, über Sport. Sie sprachen, bis Allie schreien wollte: „Halt endlich den Mund, und küss mich!“ Aber selbst das hätte Charlie wahrscheinlich nur für einen Musikwunsch gehalten.
Der Tiefpunkt kam eines Nachts, als sie ihren DJ geschlagene vier Stunden lang hoffnungslos verliebt durch die Scheibe anstarrte. Sie war ein wandelndes Wrack. Sie brauchte dringend Trost, also ging sie nach Hause und klopfte an Joes Tür.
„Komm rein.“ Schlaftrunken machte er ihr auf der Bettkante Platz. „Was ist los, Kleines?“
„Du hattest recht.“ Allie kroch zu ihm unter die Decke.
„Ich habe immer Recht. Lass mich raten. Es geht um Charlie.“
„Ich liebe ihn. Diesmal habe ich es wirklich vermasselt.“
„Ansichtssache. Immerhin hältst du deinen Beruf nicht länger für deine einzige Existenzberechtigung. Außerdem sollte sich jeder wenigstens einmal im Leben so richtig verlieben.“
„Ich war in Mark verliebt“, schniefte Allie und kuschelte sich an seine Brust. „Ich habe mein Soll erfüllt.“
„Du warst nicht in Mark verliebt!“ fuhr Joe auf. „Eure Affäre war Teil deiner Erfolgsstrategie. Du dachtest, Beruf plus Privatleben verdoppelt die Leistungsfähigkeit. Du und deine effiziente Ader.“ Nachdenklich starrte er ins Leere. „Da Charlie die schlimmstmögliche Partie für dich ist, muss es Liebe sein.“
„Sehr komisch.“ Allie wollte wegrutschen, als Zeichen dafür, dass sie in dieser Sache keinen Scherz verstand, doch Joes Arme boten zu viel Trost. „Was soll ich nur tun?“
„Ihn lieben. Was sonst kannst du tun?“
Energisch blinzelte Allie die aufsteigenden Tränen fort. „Im November verschwindet er auf Nimmerwiedersehen. Weißt du, wie weh das tun wird?“
„Noch ist nicht November. Wie üblich siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht. Du könntest beispielsweise mit ihm gehen.“ Ihr Blick traf ihn wie ein Pfeil. „Sicher, du würdest mir fehlen, aber Tuttle ist ja nicht aus der Welt. Vielleicht gefällt dir die Herumzigeunerei sogar.“
„Ein schwacher Ersatz für meine Karriere.“
„Es wäre eine Alternative. Außerdem denke ich, du vergisst Charlie.“
Allie stöhnte. „Vergessen? Er geistert ständig durch meine Gedanken. Ich bin regelrecht besessen von ihm.“
„Ignorieren tut er dich nicht gerade. Ich weiß, er ist ausgezogen, aber was blieb ihm anderes übrig? Selbst ein Mönch besitzt eine gewisse Toleranzschwelle, und des sexuellen Desinteresses kann man Charlie nun wirklich nicht bezichtigen. Der arme Mann belauert dich ja wie ein ausgehungerter Wolf, sobald du auch nur in seine Nähe kommst. Überhaupt …“ Allie horchte auf. Jetzt kam das Killerargument! „Wenn es um Mark geht, wird er ganz grün vor Eifersucht.“
Das sollte sie überzeugen, dass ihre aussichtslose Liebe nicht die dümmste Entscheidung ihres Lebens war? „Echt toll. Ich will, dass er mich liebt!“
Joe rollte die Augen. „Nun, Al, ich bin ziemlich sicher, dass er das tut.“
„Warum sagt er’s dann nicht?“
Joe zog seinen Arm weg. „Würde ich euch beide nicht so sehr mögen, sähe ich mit Freude zu, wie ihr kopflos durch den Nebel stolpert. Allie, er wird dir erst sagen, dass er dich liebt, wenn er selber dahinter gekommen ist.“
„Und wann bitte schön darf ich damit rechnen?“ Entnervt hob Allie die Hände. „Bei meinem Glück findet er es nächstes Frühjahr heraus, in Dubuque, Broken Arrow oder irgendeinem anderen Kaff auf der anderen Seite des Kontinents.“
„Dann mach du eben den ersten Schritt. Sag ihm, dass du ihn liebst. Sag ihm, dass er dich liebt. Produzier dir eine Liebesaffäre.“ Damit war für Joe der Fall erledigt. Dass seine Geduld inzwischen überstrapaziert war, zeigte sich daran, wie vehement er sein Kissen zurechtboxte. „Keine Sorge. Es regelt sich alles. Sobald Charlie seinen eigentlichen Auftrag hier in Tuttle erledigt hat, geht ihm auch in dieser Hinsicht ein Licht auf.“
„Welchen Auftrag?“ Allies Verblüffung war offensichtlich.
Joe kehrte ihr den Rücken zu. „Wegen irgendwas Bestimmtem ist er hergekommen. Was war es?“ Seine Stimme klang
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