Jede Sekunde zählt (German Edition)
der Frage zu beschäftigen, ob ich sterben würde oder nicht. Natürlich gab es in der Medizin und außerhalb davon viele, die glaubten, ich könnte sterben – aber ich zog die Gesellschaft von Ärzten und Krankenschwestern vor, die daran glaubten, dass ich es schaffen konnte.
LaTrice Haney, meine Krankenschwester auf der Onkologischen, half mir sehr. Einmal, gequält und gezeichnet von der Chemo, fragte ich LaTrice, ob ich wohl jemals wieder aus dem Krankenhaus herauskommen würde. »Lance«, sagte LaTrice, »jedes Mal, wenn du hier hereinläufst, läufst du auch wieder hinaus. Und es wird eine Zeit kommen, da du nicht mehr hierher kommen musst – weil du geheilt sein wirst.«
Vielleicht hätte ich Paul de la Garza all diese Dinge erzählen sollen. Vielleicht wäre ich besser beraten gewesen, ihm in seiner Not Mitleid zu spenden und ihm meine ungeschminkte Wahrheit zu sagen: Ja, der Krebs war das Beste, was mir je passiert ist – aber ich will ihn nicht wieder haben.
Stattdessen sagte ich bloß: »Sie werden sehen, wenn die Behandlung vorbei ist, werden Sie sich schnell erholen. Zumindest war das bei mir so.«
Dann unterbrach uns ein Mitarbeiter des Weißen Hauses und führte mich in das Blaue Zimmer, wo ich zusammen mit dem Präsidenten eine kurze Ansprache hielt. Sichtlich enttäuscht von dem Treffen blieb de la Garza in dem Vorzimmer zurück.
»Das war es«, schrieb er.
»Unser Treffen dauerte vielleicht fünf Minuten. Obwohl ich seine Zeit zu schätzen wusste – später erfuhr ich, dass er an diesem Tag seinen 31. Geburtstag feierte – und weiß, wie sehr einen das ganze Drum und Dran des Weißen Hauses ablenken kann, sagte er eigentlich nichts, was mich aus den Socken gehauen hätte, nichts, wonach ich fischte und das mir aus meinem dunklen Tunnel hätte heraushelfen können. Nichtsdestotrotz, das Treffen war hilfreich, weil es mir half, etwas zu erkennen. Auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause am Abend zuvor standen mir tatsächlich Tränen in den Augen, mit so viel Hoffnung sah ich diesem Treffen entgegen. Ich war mir sicher, dass er irgendeine Offenbarung für mich hätte, etwas, das alles zum Besseren wenden würde. Wegen seiner Geschichte behandelte ich ihn, als hüte er das Geheimnis, mit dessen Hilfe ich meinen Krebs besiegen könnte. Aber was mir fast sofort nach dem Gespräch aufging, sogar noch bevor ich das Weiße Haus verlassen hatte, war, dass ich mich nicht an die Reichen und Berühmten, die Helden der Sportwelt, wenden muss, um meinen Weg durch die Sorgen, die Mutlosigkeit und die Angst der Was-wenns zu finden. Meine Helden sind hier, direkt vormir, gewöhnliche Leute, die jeden Tag mein Leben besser machen. Ganz oben auf der Liste stehen meine Frau, meine Kinder... meine Angehörigen, meine Freunde, meine Kollegen, meine Krankenschwestern, meine Ärzte.«
De la Garza hat Recht. Heroismus kann ich nicht bieten – diese Latte liegt zu hoch für mich. Wenn manche Menschen eine Offenbarung, ein Geheimrezept suchen, dann bin ich die falsche Adresse. Überhaupt sind Helden in der Mehrzahl der Fälle Menschen, die handeln, ohne viel nachzudenken. Wenn zehn Menschen, oder von mir aus auch eine Million Menschen, dich zum Helden machen wollen, dann bleibt dir nur eins: Bedanke dich dafür, lebe dein Leben so weiter wie bisher und erkenne, dass der Versuch , ein Held zu sein, nicht gerade die lohnendste Sache ist, der man sein Leben widmen kann.
Die lohnendste Sache, in deren Dienst ich mich stellen kann, ist, Menschen, die leiden, zu erklären, dass Kranksein eine fundamental wichtige menschliche Erfahrung ist, dass es sie – und andere Menschen auch – lehren kann, ein anderes, besseres Leben zu führen.
Manchmal gelingt es mir, diese Botschaft zu vermitteln, manchmal nicht. Bei de la Garza gelang es mir leider nicht. Aber kurze Zeit später besuchte ich eine Frau, die an Krebs litt und ihre Haare verloren hatte. Die einzigen Menschen, die sie bis dahin ohne Perücke gesehen hatten, waren ihre Ärzte, doch als ich zu ihr kam, nahm sie sie ab, und wir ließen ein Foto von uns machen. Ich werde niemals müde werden, Freundschaft mit krebskranken Menschen zu schließen, und ich werde jedes Mal dasselbe zu ihnen sagen: »Komm her zu mir, hierher, direkt neben mich.«
Das ist keine Bürde, es ist eine Chance, und ich werde das tun, bis mir jemand sagt, ich solle damit aufhören. Eines Tages könnte ich eine Fünfzehnjährige treffen, die nicht weiß oder sich nicht darum schert, wer
Weitere Kostenlose Bücher