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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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dass sie ihr Mobiltelefon nahm, meine Nummer in Europa wählte und mit einer Stimme, die irgendwo zwischen Heulen und Euphorie und tiefster Bewegtheit lag, eine Nachricht auf meine Mobilbox sprach, während ich schlief.
    »Es sind Zwillinge«, sagte sie.

Kapitel 4
    Glaube und Zweifel
    I mmer wieder machen Leute mir Geschenke; Dinge, von denen sie möchten, dass ich sie habe, und Dinge, von denen sie annehmen, dass ich sie brauche: Bibeln, in die sie meinen Namen geschrieben haben, und Gebetbücher mit hervorgehobenen Passagen. Offensichtlich meinen sie, dass ich vor allem Glauben brauche. Ich glaube, wenn auch nicht notwendigerweise auf dieselbe Weise wie sie. Ich bin eine spirituelle Persönlichkeit, der das dazu notwendige Vokabular fehlt – eine Kombination von Eigenschaften, die geradezu nach Missverständnissen schreit.
    Auf einem Flughafen kam einmal ein Typ auf mich zu. »Lance, ich möchte mit Ihnen über Ihre Beziehung zu Gott reden«, sagte er.
    »Das wird kein allzu langes Gespräch werden«, gab ich zurück.
    Wer sein Leben erzählt, versucht früher oder später unweigerlich, nach umfassenden Erklärungen zu suchen: Warum lebe ich? Ich für meinen Teil lehne die einfache Antwort ab. Gott ist nicht der Grund dafür. Ich will hier niemanden beleidigen, und mir ist bewusst, dass ich, wenn ich das sage, gegen weit verbreitete Erwartungen verstoße, aber ich glaube einfach nicht an eine bequeme religiöse Gleichung. Ich habe nicht viel für das Beten übrig, gehöre keiner Religion an, die in eigens dafür errichteten Gebäuden praktiziert wird, und Proselytenmacher können mir gestohlenbleiben. Und dennoch trage ich ein Kreuz. Wie erklärt man so etwas einem Fremden zwischen zwei Flügen auf einem Flughafen?
    Woran ich glaube? Ich glaube an das Mysteriöse, Unerklärliche. Ich glaube, dass der Glaube der Welt viel Gutes beschert. Ich glaube, wenn man die Augen zusammenkneift und versucht, die Muster hinter den Dingen zu erkennen, dann kann man sie auch richtig einordnen: Steuern, Skandale, Gerüchte, Kopfschmerzen, Verkehrsstaus. Ich glaube an Zurückhaltung auf dem Gebiet der Religion, und ich glaube, dass jeder verantwortungsvolle Mensch die organisierten Religionsgemeinschaften ernsthaft infrage stellen sollte, weil es nur gerecht ist, die Amtsträger einer Kirche zu kritisieren, die Kinderschänder schützen, oder die Legitimität eines Glaubens anzuzweifeln, der Unterdrückung und Terror gutheißt. Wer anders handelt, hat nicht gelernt, seinen Verstand und seine Moral richtig zu gebrauchen.
    Meiner Meinung nach missbrauchen zu viele Menschen Religion als eine Entschuldigung, eine Krücke, einen Notausgang. Ich sehe es so: Was man hat, hat man, hier und jetzt. Selbst als ich dem Tod direkt ins Angesicht geschaut habe, dachte ich nicht einem Moment daran, dass es auf der anderen Seite etwas gäbe. J. Craig Venter, den ich sehr bewundere, hat einmal etwas gesagt, was ich selbst so nie hätte ausdrücken können, mit dem er aber alles, wie ich über Krebs und Religion und die Dinge im Allgemeinen empfinde, auf einen Punkt brachte:
    »Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet und dass die meisten Menschen auf dieser Erde, wenn sie dies nur wirklich verstünden, ihr Leben ganz anders leben würden. Wir nehmen religiöse oder mysteriöse Kräfte und vertuschen mit ihnen unsere Unzulänglichkeiten, aber Himmel und Hölle sind beide hier auf der Erde, jeden Tag, und wir führen unser Leben in ihrer Gegenwart.«
    Ich betrachtete meinen Krebs von der wissenschaftlichen Warte aus. Ich kämpfte gegen bösartige Zellen, die in meinen Körper eingedrungen waren, und ich wollte sie mit wissenschaftlichen Methodenbekämpfen, mit Dingen, die ich fassen konnte: Ärzte, Daten, Medikamente und Informationen. Ich wollte so viel wie nur möglich über die Krankheit in Erfahrung bringen. Warum? Weil die Statistiken eindeutig belegen, dass die Überlebenschancen umso höher sind, je mehr ein Krebspatient über seine Krankheit weiß. Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass gläubige Menschen Erfahrungen tiefer und intensiver erleben. Ich will das gar nicht bestreiten. Ich möchte hier nur zum Ausdruck bringen, dass ich zu viele Menschen erlebt habe, die sich ihrer persönlichen Verantwortung verweigerten und nicht bereit waren, ihren Teil zu ihrer Heilung beizutragen. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich jemanden »Es liegt alles in Gottes Händen« oder »Gott

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