Jede Sekunde zählt (German Edition)
wird sich schon darum kümmern« sagen höre.
Ich schlief so viel, dass ich mich fragte, ob der Schlaf nicht fast dasselbe sei wie der Tod. Vielleicht lag ich ja gerade im Sterben. Bin ich das?, fragte ich mich. Du glaubst, du lebst, aber du weißt es nicht.
Mein Freund Scott MacEachern von Nike kam mich besuchen. Er klopfte an die Haustür, und ich öffnete ihm. Ich stand ganz allein in der Halle meines großen Hauses, ohne Haare auf dem Kopf, ohne Augenbrauen, mein Gesicht von der Krankheit gezeichnet. Es war das erste Mal, dass Scott mich sah, seit ich krank geworden war. Noch in der Halle verbeugte ich mich und zeigte ihm die große hufeisenförmige Narbe von der Gehirnoperation auf meinem Kopf, dann zog ich mein Hemd hoch und zeigte ihm die ganzen anderen Stellen, an denen sie mich aufgeschnitten hatten.
An diesem Abend saßen Scott und ich beisammen und sprachen über die Krankheit und über das Leben nach dem Tod. Ich erinnere mich [an den Tiefpunkt des Gesprächs] und dass ich Angst hatte, aber mutig sein wollte und ihm sagte, dass ich versuche, mich nicht unterkriegen zu lassen und alles über Krebs zu lernen, und dass ich so müde sei, aber auch fest entschlossen.
Am nächsten Morgen stand Scott früh auf und ging joggen. Als er zurückkam, hörte er laute Musik aus der Garage dröhnen, also ging er um das Haus und warf einen Blick in die Garage. Ich war in der Garage auf einem Radtrainer, die Radschuhe an die Pedale geclippt, Shorts, der Kopf kahl wie eine Billardkugel und voller Narben.
Ich hatte mich vom Sattel erhoben. Ich fuhr einen Angriff auf dem Radtrainer. »An diesem Punkt«, sagte Scott mir später, »wusste ich, dass da ein Kampf ausfochten wurde, gleichgültig, ob du leben oder sterben würdest.«
Diese Einstellungen passen nicht zur gängigen Auffassung von Spiritualität. Manche Leute – »Da ist jemand, der Hilfe braucht« – betrachten mich sogar als Aufgabe.
Aber ich kann mit diesem Konflikt leben, wenn Sie es denn als »Konflikt« bezeichnen möchten. Ich trage diesen Konflikt aus einem guten Grund in mir: Als Junge gewann ich ein alles andere als positives Bild von der organisierten Religion. Mein Stiefvater Terry Armstrong war Diakon einer Kirche – was ihn aber nicht davon abhielt, meine Mutter zu misshandeln oder mich mit einem Paddel zu verhauen. Ich lernte Religion also als etwas kennen, dem man misstrauen musste, als ein Instrument der Angst wie auch des Guten, und nur weil jemand jeden Sonntag in die Kirche ging, hieß das keineswegs, dass er moralisch integer war.
Meine Kinder werden als Katholiken erzogen, und ihre Mutter ist eine praktizierende Katholikin. Mein Zuhause ist in dieser Hinsicht offen. Ich habe mich nie mit Kik darüber gestritten, was die Kinder lernen oder wie sie aufgezogen werden sollten; ich habe nichts dagegegen, dass sie mit ihrer Mutter in die Kirche gehen. Ich bin überzeugt, dass sie mit der Zeit intelligent und, wie ich hoffe, unabhängig genug sein werden, ihre eigene Entscheidung zu treffen. Und wenn sie sich für den Glauben entscheiden sollten, umso besser.
Während ich skeptisch geblieben bin, nimmt Kik ihren Glauben allmählich immer ernster. Wir wurden in einer katholischen Kirche getraut, aber über die Jahre hinweg entwickelte sich das bis zu einem Punkt, an dem unsere Meinungen auseinander klaffen, und manchmal kam es darüber zu kleinen Sticheleien. Hin und wieder kam es vor, dass ein Fremder uns darauf ansprach, warum ich nicht betete, worauf Kik dann etwas in der Art von »Wenn es Sie beruhigt, ich bete für ihn« antwortete.
Zudem hatte ich eine Neigung zur Besserwisserei, die Kik mitunter auf die Nerven ging. Wenn Sie zur Messe ging, reagierte ich darauf häufig mit einer kleinen Spitze.
»Warum gehst du da hin?«
»Weil ich gerne zur Messe gehe.«
»Aber es ist Samstag. Lass uns lieber Essen gehen.«
»Ich gehe gerne zur Samstagsmesse.«
Darüber dachte ich dann einen Moment nach, bevor ich einen blöden Kommentar in der Art von »Meinst du, das wird sich noch auswachsen?« vom Stapel ließ.
Eines Tages aber kurierte sie mich von dieser Unsitte. »Woher auch immer meine Stärke kommt, du solltest dankbar sein für sie«, sagte sie. »Wenn du dich so sehr auf mich verlässt, verlässt du dich auch auf diese Stärke.« Da hatte sie Recht; wenn der Glaube ihr Leben beeinflusste, dann beeinflusste er über sie auch mich. Wenn ich Rennen fuhr, suchte Kik stets nach einer Kirche, um dort Kerzen für mich anzuzünden. Ich
Weitere Kostenlose Bücher