Jeden Abend, jeden Morgen - immer!
wieder Blutflecken auf dem sandigen Boden. Ja, der Hengst war eindeutig getroffen, und Jake wusste noch immer nicht, welcher seiner Leute geschossen hatte. Am Abend zuvor hatte er sie alle befragt, aber keiner hatte sich zu der Tat bekannt – vielleicht, weil er so erbost gewesen war. Rückblickend erkannte er, dass seine Haltung für die Männer ziemlich unverständlich sein musste und der Schuldige vermutlich Angst hatte, entlassen zu werden.
Die Gewehre der Männer zu untersuchen, hätte nichts gebracht, denn es waren verschiedene Schüsse abgegeben worden. Ein Cowboy hatte auf eine Klapperschlange geschossen, und zudem dienten Gewehrschüsse der Verständigung auf dem weiten Gelände. Wahrscheinlich würde er nie herausbringen, wer den Hengst angeschossen hatte. Es sei denn, derjenige gab es von sich aus zu, aus Angeberei oder schlechtem Gewissen.
Während er so dahinritt und einen Teil seiner Aufmerksamkeit dem heftiger werdenden Wind und den Hufspuren widmete, dachte er an die vergangene Nacht mit Carly und war gleichermaßen erregt und verstört dabei. Verliebt zu sein – und so heftig – und solche Erinnerungen an eine Liebesnacht würde jedem Mann die Gemütsruhe rauben.
Aber die Frau, die er liebte, war auch noch die Tochter seines Chefs. In manchen Fällen war das kein Problem. Er kannte Männer, die mit dem Segen vom Boss dessen Tochter geheiratet hatten.
Nur war Stuart Paxton nicht irgendein Boss. Er war ein ungeheuer reicher Witwer und würde sein gesamtes Vermögen seinem einzigen Kind vermachen. Ob er wollte oder nicht, musste er, Jake, sich eine Frage stellen: Hatte Stu je den Eindruck vermittelt, dass ihm einer seiner Mitarbeiter gut genug wäre, ihm sein kostbarstes Gut anzuvertrauen?
“Nein”, sagte Jake laut. Zwar hatte Stuart ihn stets als gleichberechtigt behandelt, doch Jake machte sich nichts vor. Sicher, sie waren beide Söhne von Ranchern, aber er hatte viele Jahre verschwendet, während Stuart keine einzige Minute vergeudet hatte.
Was für Idioten manche Menschen doch sind, sagte Jake sich selbstkritisch. Aber wäre er je zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn er sich nicht in Carly verliebt hätte?
Er stemmte die Schultern gegen den Wind und lenkte sein Pferd zu dem schmalen überwachsenen Eingang des Shell Canyons. Vermutlich hatte er keine Chance bei Carly – zumindest nicht für länger –, aber er konnte ihr etwas Schönes schenken, das sie nie vergessen würde. Er konnte den Hengst einfangen, den besten Tierarzt in der Umgebung anrufen, der die Verletzung heilen würde, und dann sollte Carly entscheiden, was mit dem Wildpferd zu geschehen hatte. Vermutlich würde sie ihn nicht kastrieren lassen, und das wäre sicher das Richtige. Doch das würde er erst sagen können, nachdem er den Hengst aus der Nähe gesehen hatte.
Letztlich lag die Entscheidung bei Carly.
Das Funkgerät auf Carlys Bett ging an. Sie hatte den Apparat völlig vergessen, doch jetzt griff sie danach. Es rauschte stark, und sie vernahm abgerissene Worte einer unbekannten Männerstimme.
“Jake … Shell Canyon … Hengst … Befehl … Nein, verdammt, befolgt seine Anweisung … Ich bin auf dem Weg … Weitergeben… Over.”
Carlys Puls beschleunigte sich. Das klang, als würden Jake und die Männer den Hengst zu einer Stelle verfolgen, die Shell Canyon hieß. Wo in aller Welt lag dieser Canyon? Vermutlich wollten sie den Hengst dort endgültig erledigen, die Schufte!
Auf der Bettkante sitzend, zog sie mühsam ihre Reitstiefel an. Ihr Knöchel war noch nicht wieder völlig in Ordnung, aber er schmerzte kaum noch. Die Stütze durch den Stiefel tat gut. Carly stand auf und versuchte zu laufen, es ging leidlich.
“Es muss einfach gehen”, sagte sie entschlossen. Das bisschen Stechen im Fuß würde sie nicht abhalten, wenn das Leben des Hengstes auf dem Spiel stand!
Sie ließ ihr Bett ungemacht und dachte daran, dass sie auch Jakes Bett zerwühlt hinterlassen hatte. “Egal”, murmelte sie und machte sich an den Abstieg, das Funkgerät in der Hand. Mit der anderen Hand hielt sie sich am Geländer fest und bewegte sich ganz langsam, was ihre Ungeduld nicht gerade milderte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch endlich war sie im Parterre.
Während sie ihren Rucksack packte, stellte sie das Walkie-Talkie auf ‘Sprechen’. “Barney? Sind Sie da? Hören Sie mich?”
“Ja, Ma’am. Geht es Ihnen gut? Möchten Sie frühstücken? Jake sagte, ich sollte Sie schlafen lassen, deshalb habe ich mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher