Jeden Tag ein Happy End
jemand: »Der fünfte!«, und ich schlüpfte hinaus.
Ich durchquerte den riesigen, zweistöckigen Redaktionsraum, der einem Terrarium ähnelte und vom Summen unzähliger geflüsterter Unterhaltungen erfüllt war. Manager und Chefredakteure berieten sich in den kleinen, gläsernen Büros, während Reporter mit völlig veralteten Headsets vor ihren Computern saßen. Büroangestellte starrten ausdruckslos vor sich hin und hämmerten auf die Tastatur ein, und die Art Directors klebten an ihren überdimensionalen Bildschirmen. Der Redaktionsraum war die Schaltzentrale für alles, was die Zeitung herausbrachte, allerdings sah es dort nicht anders aus als in einer Werbeagentur oder beim Steuerberater. Sonnenlicht durchflutete die kleinen Büros mit den Trennwänden aus Kirschbaum. Am Ende des Ganges bog ich links ab und eilte zu meinem Schreibtisch.
Kein rotes Licht blinkte. Glück gehabt. Zumindest vorerst.
»Wir sind doch hier nicht im Kindergarten, wir sind hier bei der Zeitung. Hier kann nicht jeder machen, was er will!«, hörte ich plötzlich meine Redakteurin fauchen. Ich fuhr erschrocken herum. Was sollte das denn heißen? Renée Brodsky stand hinter mir, ein einen Meter fünfzig großes Energiebündel mit grauen, hochgegelten Haaren und einem Headset auf dem Kopf. Ihre stahlblauen Augen hinter der Brille mit dem breiten, schwarzen Gestell starrtenmich wütend an. Sie sah mir direkt ins Gesicht, war aber zum Glück in ein Telefonat vertieft.
»Die Hochzeitsseiten sind genauso ein Teil der Zeitung wie alles andere. Wir beschönigen hier aus Prinzip keine Informationen«, sagte sie. Ihre heisere Stimme war voller Verachtung. Sie war eine erbarmungslose Redakteurin, früher selbst einmal Reporterin, hatte eine Vorliebe für Rugelach – Hörnchen mit Schokofüllung – und unanständige Witze und wenig übrig für Leute, die ihr Urteil anzweifelten – oder das der Zeitung.
»Wir arbeiten hier mit Fakten, Mrs Murphy«, fuhr sie fort und blätterte einen Stapel Anfragen für Hochzeitsinterviews durch. »Und Fakt ist nun mal, dass dies Ihre dritte Ehe ist. Wenn wir also einen Artikel darüber schreiben, müssen wir auch die Fakten nennen.«
Renée arbeitete seit fast fünfzig Jahren für die Zeitung, und ihrer Meinung nach gab es keinen Unterschied zwischen einem Hochzeitsartikel und einem Aufmacher. Das hatten schon viele unglückliche Bräute feststellen müssen. Ich war einfach nur froh, dass ihr Ärger nichts mit mir zu tun hatte. Dieses Mal wenigstens nicht.
Das Telefon klingelte. Es war Tony Fontana, der nur einen Meter entfernt im Büro rechts neben mir saß. »Da muss wohl wieder mal eine Braut dran glauben«, flüsterte er.
»Hat dich ihr Wutanfall etwa geweckt?«, fragte ich und fuhr meinen Computer hoch. Die Frage war nur ein Witz, weil Tony ein absolutes Arbeitstier war, das jeden Morgen ab sechs an seinem Schreibtisch saß. Er schrieb für drei verschiedene Ressorts und trainierte die Hockeyteams seiner vier Kinder. Dazwischen fand er immer noch Zeit für seine Rolle als Präsident des Trekkie Clubs in Great Neck.
»Du wirst auch gleich noch einen schönen Weckruf bekommen,sobald Brunhilda deine Kolumne gesehen hat«, gab er lachend zurück. Renée war in Deutschland geboren, weshalb Tony ihr den Spitznamen Brunhilda verpasst hatte. So nannte er sie immer, wenn sie schlecht gelaunt war. Aber sie war tatsächlich nicht in der besten Stimmung, um sich mit meinem Text zu beschäftigen, den ich ihr gestern Abend noch per E-Mail geschickt hatte.
»Such dir doch jemand anderen, den du ärgern kannst«, gab ich zurück und öffnete mit einem Doppelklick mein E-Mail-Programm.
»Und du rette schön weiter die Welt mit deiner Hochzeitskolumne«, sagte er und legte auf.
Ängstlich überflog ich die Unmengen an E-Mails, wovon mir erschreckend viele eine Penisvergrößerung anboten. Eine aufgeregte Braut bestätigte mir mehrmals unseren Interviewtermin für Freitag, aber vom ›Observer‹ war keine Nachricht dabei. Auch nicht von Melinda. Ich war erleichtert, gleichzeitig aber auch enttäuscht. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich von Glück sagen konnte, mit dieser E-Mail nicht meinen Job aufs Spiel gesetzt zu haben. Trotzdem spürte ich ein leichtes Ziehen in der Brust beim Gedanken an Melindas Grübchen.
»Immer diese Bräute!«, rief Renée, nachdem sie ihre Hasstirade am Telefon beendet hatte, und setzte sich wieder.
»Ist es denn wirklich so schlimm, wenn man in einem Artikel über seine Hochzeit
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