Jeden Tag ein Happy End
Das hier war kein Interview mehr, ich nahm an einem Dating-Seminar teil. Nach meinen Misserfolgen in der letzten Woche bot sich mir nun die Chance, die verschlungenen Pfade des weiblichen Gehirns erklärt zu bekommen. »Womit hätte er denn bei Ihnen landen können?«
Sie biss sich auf die Lippe und wog offensichtlich ab, wie viel mehr sie mir anvertrauen wollte. »Mir war einfach nicht nach einem Date«, sagte sie schließlich. »Ich hatte eine schlimme Trennung hinter mir, das war erst einen Monat her. Der Mann, mit dem ich seit dem College zusammen war, hat sich auf der Hochzeit meiner Schwester von mir getrennt. Ich war die Brautjungfer, trug also soein schreckliches fuchsiafarbenes Kleid und hatte mir Korkenzieherlocken machen lassen. Das hat Stunden gedauert. Vor der Zeremonie wurden Fotos von uns in einem Oldtimer-Cabrio gemacht, und dabei sagte er mir, er hätte sich in eine andere verliebt. Mir war also nicht unbedingt nach Romantik, als ich Mike kennenlernte. Meine Grandma Jade hat immer gesagt, ›Wenn du jemandem erlaubst, dich auf Händen zu tragen, musst du auch damit rechnen, dass er dich irgendwann wieder fallen lässt‹.«
»Und was hat Sie dann dazu gebracht, Ihre Meinung zu ändern?« Diese Frage gehörte zu meinem Standardrepertoire, aber diesmal interessierte es mich wirklich. Ich war kein Journalist mehr, ich war ein einsamer Kerl auf der Suche nach lebensnotwendigem Wissen. Etwas Existenzielles, das ich schon vor Jahren hätte lernen müssen. Ich konnte zwar akademische Erfolge an der Cornell University vorweisen, aber was Beziehungen anging, hatte ich nicht mal den Grundkurs bestanden.
»Er stand einfach immer wieder mit Kaffee und Cupcakes da, und ich habe immer wieder dankend abgelehnt.«
»Sie wollten die Cupcakes nicht?«
»Nein, die schon. Seine Einladung habe ich abgelehnt. Ich liebe Cupcakes!« Sie lächelte und es verlieh ihr für einen Moment etwas Kindliches. »Eine Woche später gab es einen Stromausfall in der U-Bahn-Station, und die Züge fuhren nicht mehr. Das wussten wir aber nicht. Wir standen da und warteten. Und warteten. Schließlich gaben alle auf und machten sich auf die Suche nach einem Taxi, ich auch. Nur war leider kein Taxi aufzutreiben. Ich war kurz vorm Verzweifeln, weil ich um Viertel nach neun einen Termin hatte. Mike rannte einfach auf die Straße, mitten in den Verkehr und fragte ganz normale Autofahrer, ob sie uns mitnehmen würden. Und als wir schließlich zusammengequetschtauf dem Rücksitz eines Honda Fit saßen, bat er mich noch einmal um meine Nummer.«
»Da haben Sie sie ihm dann gegeben.«
»Nein«, lachte sie und schüttelte den Kopf. »Da hab ich dann die Polizei gerufen. Na ja, um genau zu sein, habe ich den Bruder meines Mitbewohners angerufen. Der ist Privatdetektiv und hatte mir angeboten, ein bisschen mehr über diesen Typen herauszufinden. Der hat dann die Polizei alarmiert. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Mike ein Dutzend unbezahlter Knöllchen hatte.«
Wenn man erst einmal in den Knast musste, um näher an eine Frau heranzukommen, hatte ich noch einen langen, steinigen Weg vor mir.
»Mike musste vor Gericht erscheinen und Strafe zahlen, aber er stellt es heute so dar, als wäre er zu Hause verhaftet und in Handschellen abgeführt worden.«
Ich musste unbedingt herausfinden, wie diese zwei Menschen trotzdem zueinandergefunden hatten. Denn das war nicht offensichtlich. In meinen Interviews mit Paaren bekam man schnell das Gefühl, sie wären füreinander bestimmt gewesen. So war es hier aber nicht, das wusste ich aus Erfahrung. Zwischen dem Herumlaufen im Straßenverkehr und dem Aussuchen des farblich abgestimmten Konfettis war etwas passiert, und ich musste herausfinden, was. Ich musste herausfinden, wie Liebe funktionierte. Ich fühlte mich wie ein Wissenschaftler, der unbekannte Materie untersucht. Zum ersten Mal ging mir auf, dass mein Job das perfekte Labor dafür war. Ich war zu beschäftigt mit der Ironie gewesen, als Single ständig über Hochzeiten zu berichten, und hatte dabei völlig übersehen, was für einen glücklichen Zufall das eigentlich darstellte. Ich schrieb meine Artikel und trug dabei Scheuklappen, war besessen von Deadlines und vorgeschriebenen Textlängenund hatte überhaupt nicht bemerkt, dass ich von diesen Pärchen etwas sehr Wichtiges lernen konnte. Wenn ich nur wüsste, was es war.
»Ist Mike danach nicht mehr jeden Morgen aufgetaucht?«, fragte ich. Ich war gespannt, ob er wohl aufgegeben
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