Jeden Tag, Jede Stunde
hat ihn nicht gestört, dass Dora sie hat. Aber jetzt stört es ihn eben, dass dieser alte Mann da sie so einfach anfassen darf, muss sogar! Dass das ein Teil ihres Berufs ist. Da muss er laut schlucken. Was steht ihm noch bevor? Küsse, Liebkosungen, Nacktszenen!!!??? Plötzlich wird ihm ganz übel, und er muss in die Herrentoilette flüchten, sich Wasser ins Gesicht spritzen. Die Augen in kalten Tropfen ertrinken lassen, damit sie nie mehr solche Bilder sehen können. Die nur in seinem Kopf leben.
»Und, wie war es? Wie war ich? Wie hat es dir gefallen?«
Seine Antwort ist ein langes Schweigen. Bevor er sie in die Arme nimmt und ganz fest hält.
»Ich liebe dich auch, ljubavi moja jedina.«
Luka findet mit Christians Hilfe sogar ein kleines Atelier, zur Untermiete, und malt mehrere Stunden täglich.
Ja, das schafft er, das freut ihn überaus. Aber das macht er nur, wenn Dora beschäftigt ist, wenn sie keine Zeit für ihn hat. Und vielleicht eben deswegen, weil Dora selten keine Zeit für ihn hat, malt er schnell, sehr schnell. Er hat noch nie so schnell gemalt. Er könnte mit geschlossenen Augen malen, so mühelos kommt das Bild aus ihm heraus, als wäre es eine Fotografie und man müsste nur auf einen Knopf drücken, und schon ist es fertig. Es entzückt ihn, diese neue Art, Leinwände mit Farben zu füllen. Alles das ist eine riesengroße Überraschung, und Luka lässt sich gerne überraschen, er betrachtet das fertige Gemälde und hat so etwas noch nie gesehen, etwas Unbeschreibliches entsteht da vor seinen Augen, durch seine Grundier-und Flach-und Haar-und Rundpinsel, und auch wenn Luka nicht immer weiß, was es ist, weiß er, dass es gut ist, sehr gut sogar. Wie sein neues Leben. Er weiß, dass er in diesem Augenblick alles ist, was er je sein wird.
Luka verkauft mit Christians Hilfe auch zwei Bilder.
Schweren Herzens. Denn die beiden Gemälde sind seine Lieblingskreationen, sein Herz schlägt schneller, wenn er sie betrachtet, und eins davon wollte er unbedingt Dora schenken. Aber der Käufer will genau diese zwei, und Luka willigt ein, denn Geld braucht er auch, für sich, für Dora, für alles, was noch kommt: Vieles wird noch kommen, das spürt er ganz genau, und deswegen will er vorbereitet sein, an Geld soll es ihnen nicht fehlen, nichts soll schiefgehen, nur weil sie kein Geld haben, absolut überhaupt nichts. Er ist zuversichtlich, dass er alle seine Bilder in Paris verkaufen kann, er beauftragt Christian damit.
»Nichts soll übrig bleiben, wenn wir ans Meer zurückkehren, verkauf alles!«
Christian ist erstaunt, fragend hebt er die Augenbrauen, die er sich bis auf eine ganz dünne Linie alle ausgezupft hat, es war eine Wette, so dumm und unsinnig und kindisch, wie es nur unter unverheirateten Männern mittleren Alters passieren kann.
»Dora verlässt Paris?«
»Klar, nach der Premiere, wenn sie … Ich weiß nicht, ich glaube schon.« Unsicher sieht er seinen Freund an, auf Zustimmung hoffend. »Was meinst du? Kommt sie mit?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich kann es mir nicht vorstellen.« Seine Ehrlichkeit trifft Luka wie eine Literdose schwarzer Farbe. Er fängt an zu zählen. Aber Christian ist da und kennt sich ein wenig aus mit Lukas Fluchtwegen, er legt dem Freund die Hand auf den Arm.
»Mal einfach weiter, alles wird sich schon zum Besten entwickeln.«
Also malt Luka, und Christian verkauft, und Dora ist überglücklich.
Luka besucht Ausstellungen und Museen.
Manchmal allein, manchmal mit Dora zusammen. Dora kennt sich sehr gut aus. Stunden, und zwar fast täglich, verbringen sie im Louvre. Sie sitzen oder stehen vor den Meisterwerken aller Epochen und schweigen. Jedes Wort wäre eins zu viel. Es sind vor allem Impressionisten aus der Sammlung Jean Walter und Paul Guillaume im renovierten und eben in diesem Jahr neu eröffneten Musée de l’Orangerie, von denen sie nicht genug bekommen können. Diese vielen Namen! Luka kennt sie alle, sie sind wie alte Freunde, als hätten sie ihn seit eh und je durch sein Leben begleitet, ihm beigestanden, seinen Blick geführt. Luka ist fast ekstatisch. Sein Händedruck tut Dora weh, aber sie sagt nichts. Sie weiß, was es bedeutet, blind, stumm und taub vor Gefühlen zu sein. Geblendet. Besessen. Von Leidenschaft getrieben.
»Ich bin einer von denen«, sagt Luka mit leiser Stimme. »Ich bin einer von denen.«
Luka diniert mit Dora in gemütlichen, kleinen Restaurants mit hervorragender Küche.
Es ist eine Kunst, dieses
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