Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
sie
in den Hinterzimmern feiner Bordells,
im Lederkostüm,
den Hintern ausgespart,
schluchzend und wie im Gebet,
und flehen um Strafe.
Schick eine Sintflut, Herr,
in dieser Ordnung kann sich niemand mehr gestalten.
Zwischenspiel
Und schon erheben sich die Drübersteher,
deuten mit ihren glanzlosen Fingern
auf die Unvernunft
und formen ihren gemeinsamen, einsamen Mund
zu ihrem Schlachtgesang:
Lächerlich!
Lächerlich, rufen sie sich zu,
denn ihrer ist das Menschenreich,
und dann flüstern sie bestürzt:
Dialektik, mein Freund,
oder behaupten schlicht und unumstößlich:
Porsche Carrera!
Münchner Bier!
Pierre Cardin!
Manchmal,
wenn sie sehr beunruhigt sind,
vielleicht,
weil plötzlich was Lebendiges den Raum füllt,
oder einfach in ihren unvertuschbaren,
ehrlicheren Stunden,
greifen sie zu diesem
stillen Lächeln,
das den Schulmädchen so imponiert
und all denen,
die gerne unantastbar wären
und ständig fundiert.
Seht nur,
die Drübersteher,
wie sie buckeln vor politischen Begriffen,
moralischen Normen,
in Diskotheken ballen sie sich
(wohl des Redeverbots wegen)
und in Hegel-Seminaren,
Free-Jazz-Konzerten oder
anderen Geheimclubs,
deren Credo die Unverständlichkeit ist,
meistens aber und am liebsten
machen sie auf Einzelkämpfer,
suchen sich naive, freundliche Menschen,
die nicht daran denken,
das Lachen zu verraten,
lassen ein bisschen Unverdauliches ins Gespräch fallen
und versuchen,
teilnahmslos und männlich
und vor allem lächelnd
auf sich aufmerksam zu machen,
wo sie nicht mitreden können.
Alle, die aufgegeben haben,
wollen die Mutigen und Suchenden
erniedrigen.
Beenden zum Beispiel Diskussionen mit Sätzen wie:
Wir treffen uns in zehn Jahren in Monte Carlo wieder!
Oder andere:
Nach der Revolution sprechen wir uns, Freundchen!
Als ob es noch nie Steher gegeben hätte,
die sich bis zum Schluss woanders suchen
als in Börsenberichten oder Wahrheitsdrogen.
Da hör ich schon viel lieber denen zu,
die munter drauflosplappern,
sich versteigen ins Uferlose,
auch wenn sie nicht mehr zurückfinden,
solche,
die rotbäckig werden nach einer Stunde,
denen irgendwann zwangsläufig
der Bierkonsum aus der Kontrolle gerät,
Schwärmer,
die mit dem Körper reden,
Verzückte,
Besessene,
Leidenschaftliche,
die man immer wieder aufbrechen kann,
weil sie so zerbrechlich sind,
und die dann eben auch,
wenn’s gar nicht mehr anders geht,
auf die Straße rennen
und den Kopf hinhalten.
IV
Nur mal so dahingefragt, Herr Nachbar,
sozusagen in den luftleeren Raum hineingefragt,
Herr Nachbar,
was, glauben Sie,
hätten wir von unserem schönen Himmel,
wenn’s für Frau Meinhof keine Hölle gäb?
Ich meine,
was, glauben Sie,
entschuldigte all unsere Enthaltsamkeit,
all diese heimlichen Schweißausbrüche,
wenn sich Fräulein Ute von Stock 14
mal wieder so hemmungslos über die Akte beugt?
Also jetzt mal ganz unter uns:
Können Sie wirklich auf das Böse verzichten?
Nur mal so dahingefragt, Herr Wecker,
sozusagen neben Sie hingefragt,
was hielte Sie hoch, Wecker,
wären nicht unsere Chefideologen, Päpste
und Pomadekastraten,
da müssten Sie doch mal ganz schön umdenken,
gerichtete Welt,
gewertete Welt,
muss eben immer was Bleibendes herhalten,
abspecken, Wecker, abspecken,
den Kopf unters kalte Wasser
und endlich mal wieder
ganz von vorn ofanga!
Nur keinen Spiegel jetzt,
schaffen Sie die Fotografen fort,
es ist so schwer,
der größte lebende Dichter Deutschlands zu sein.
Darf ich Ihnen einen Blues singen?
Oder wie wär’s mit einer Chopin-Etüde?
Gestehen Sie mir zu,
dass ich alle Voraussetzungen erfülle,
ein bedeutender Bodybuilder zu sein?
Verpasst.
Wenn ich ganz ehrlich bin,
können Sie mit mir nicht mal einen Bankraub machen,
nur weil ich zu feig bin.
Was bleibt, muss mir herhalten:
Worte, Töne, Fantasien.
Bin ein Grenzgänger.
Täusche mich oft.
Aber hab eine grenzenlose Liebe zu mir.
Und das lässt mich hoffen.
V
Und bis zum Ende der Geschicke:
Tränen, Mut und Glücke.
Aufrichtigkeiten nur noch laut Katalog vorrätig,
Infantilismus ist ein Schimpfwort geworden,
und ich werde mich mit Ihnen über Christus streiten,
ob Sie’s wollen oder nicht,
ich hab ihn wieder lieb gekriegt,
und das ist doch nun wirklich scheißegal,
ob er vielleicht nur mal in ein Leichentuch hineingeträumt wurde,
an solchen Träumen wär ich gern reicher,
Paulus zum
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