Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
Beispiel interessiert mich im Moment noch nicht,
und unser herzlicher, angeblich schwuler
Religionslehrer Rauber
hat mir eine Menge Heilige ersetzt.
Egal, ob ich noch richtig ticke:
Tränen, Mut und Glücke.
Vielleicht ist mein penetrantes Ja zum Leben
auch schon eine Einschränkung der Freiheit,
oder ist das ein anderes Ja
als all diese wandelbaren, ungewissen –
Sprünge unter der Schädeldecke.
Abheben,
Blitze,
durchlöcherte Schleimhäute.
Meine Mutter hat ein Käppchen auf und kreischt:
Näher, mein Gott, zu dir!
Wie war das nur in ihrem Bauch?
Hätt ich nur Gerüche davon
oder Melodien
oder wenigstens Schmerzen am Bauchnabel,
meine Mutter in Schwesterntracht
und lockt:
Näher, mein Sohn, zu mir!
Auch wenn ich nicht mehr richtig ticke:
Tränen, Mut und Glücke.
Würden Sie wirklich zurückwollen?
Kieme, Feuerrad,
Blasenkatarrh eines niederen Gottes?
Der Gedanke legt mir Steine ins Blut.
Wenn man irgendwann mal sehr oben steht,
sieht man doch die Blätter
schon nicht mehr fallen,
wird das Wachsen ständig.
Wie kann ich nur fließend zum Stehen kommen
oder im Stehen fließen!
Und Weitsicht kann so trügen,
und Einblicke lähmen so oft,
und ist ein Gramm Rätsel pro Tag
nicht schon genug?
Zu viel macht süchtig, sagt man –
Dann lassen Sie mich eben süchtig sein!
Diese Gier heißt auch Leben,
und ich will nun mal nur
bewegt bewegen.
Kann auch nicht sagen, ob’s immer nach vorne geht,
manche setzen sich auf Nebengleise ab,
haben für niemanden Bedeutung,
kreisen um sich,
zerplatzen,
fliegen,
aber sie fragen,
fragwürdige Welt, offene Welt, wunderbare Welt.
Da kann man doch wieder Luft holen,
da kriegt doch Mut, wer tauchen kann,
und auf ein Wort, Kollege Mensch,
gestatten Sie,
dass ich mich weiterhin verschwende.
VI
Innenschau und die Unschuld wiederfinden,
mit den Tieren sprechen und den Bäumen,
wandelbar sein, verwundbar,
und ans Weiter glauben.
Alle sind mündig,
und die Unschuld ist niemands Privileg.
Innenschau und die Liebe befreien,
ab und zu ein Goethegedicht in die Hand nehmen,
Idyllen meiden.
Ausbreiten,
mit lieben Menschen lange zu Abend essen,
wenn’s geht, in Italien, Herbst oder Frühjahr,
und sich einfach mal öfters anlangen.
Innenschau und Exhibitionismus,
durchs Land ziehen, aufpassen, wiedergeben,
mehr weiß ich im Moment nicht zu tun.
Hoff auf erweiterte Ausdrucksformen,
wünsch meinen Eltern ein endlos langes Leben,
versuch meinen Schwanz endlich an mich zu gewöhnen,
bedank mich bei meinen Lieben fürs Mitmachen,
hab furchtbare Angst vorm Sterben
und will später unbedingt mal ein Engel werden.
Parteibuch hab ich keins,
und ab und zu im Winter
leg ich mich auf die Sonnenbank,
aus lauter Eitelkeit.
Elegie für Pasolini
I
Auch wenn sie dich jetzt auf ihre Fahnen malen
und mit diesem heiligen Eifer und Zorn
die Mörder jagen –
was nützt das deinem eingeschlagenen Schädel,
Paolo Pasolini?
Du warst für sie immer eine schwule Sau,
dekadent und pervers,
ein Träumer,
den Rechten zu viel Kommunist
und deiner Partei zu viel Mensch.
Du hast Genossen gesucht,
und sie haben dir dafür
dein Parteibuch zurückgegeben.
»Trotzdem bleibe ich jetzt und immer Kommunist«,
hast du geantwortet,
und kurz vor deinem Tod:
»Der Tod besteht nicht darin,
dass man sich nicht mehr mitteilen,
sondern dass man nicht mehr verstanden
werden kann.«
II
Chor:
Denn wer den Zweifel liebt,
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist,
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!
III
Glaub mir, Paolo Pasolini,
sieben Jahre nach deinem Tod
hat sich nicht viel verändert.
Die Veilchen blühen im Frühling
nach dem gleichen Prinzip,
und all die schönen,
begehrenswerten Knaben
schlagen nach wie vor
ihren Freiern
die Nasen ein.
Die Faschisten haben dieselben
Orgasmusprobleme
und warten mit geblähten Samensträngen
auf die Endlösung.
Vom ägyptischen Weihrauchhandel
bis zum konzertierten Börsenbetrug
ist’s ein Atemzug,
und die babylonischen Bankiers
haben ihre Geschäfte
in die oberen Etagen der Ölgesellschaften
verlegt.
Wir bauen immer noch fleißig ihre Pyramiden,
nur,
wo sollen die später mal graben?
Hiroshima ist nur ein Vorort von Jericho –
aber ganz wird der große Endknall
eines gewissen ästhetischen Reizes
nicht
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