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Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Titel: Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konstantin Wecker
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Beispiel interessiert mich im Moment noch nicht,
    und unser herzlicher, angeblich schwuler
    Religionslehrer Rauber
    hat mir eine Menge Heilige ersetzt.
     
    Egal, ob ich noch richtig ticke:
    Tränen, Mut und Glücke.
     
    Vielleicht ist mein penetrantes Ja zum Leben
    auch schon eine Einschränkung der Freiheit,
    oder ist das ein anderes Ja
    als all diese wandelbaren, ungewissen   –
    Sprünge unter der Schädeldecke.
    Abheben,
    Blitze,
    durchlöcherte Schleimhäute.
    Meine Mutter hat ein Käppchen auf und kreischt:
    Näher, mein Gott, zu dir!
    Wie war das nur in ihrem Bauch?
    Hätt ich nur Gerüche davon
    oder Melodien
    oder wenigstens Schmerzen am Bauchnabel,
    meine Mutter in Schwesterntracht
    und lockt:
    Näher, mein Sohn, zu mir!
    Auch wenn ich nicht mehr richtig ticke:
    Tränen, Mut und Glücke.
     
    Würden Sie wirklich zurückwollen?
    Kieme, Feuerrad,
    Blasenkatarrh eines niederen Gottes?
    Der Gedanke legt mir Steine ins Blut.
    Wenn man irgendwann mal sehr oben steht,
    sieht man doch die Blätter
    schon nicht mehr fallen,
    wird das Wachsen ständig.
    Wie kann ich nur fließend zum Stehen kommen
    oder im Stehen fließen!
    Und Weitsicht kann so trügen,
    und Einblicke lähmen so oft,
    und ist ein Gramm Rätsel pro Tag
    nicht schon genug?
    Zu viel macht süchtig, sagt man   –
     
    Dann lassen Sie mich eben süchtig sein!
    Diese Gier heißt auch Leben,
    und ich will nun mal nur
    bewegt bewegen.
    Kann auch nicht sagen, ob’s immer nach vorne geht,
    manche setzen sich auf Nebengleise ab,
    haben für niemanden Bedeutung,
    kreisen um sich,
    zerplatzen,
    fliegen,
    aber sie fragen,
    fragwürdige Welt, offene Welt, wunderbare Welt.
    Da kann man doch wieder Luft holen,
    da kriegt doch Mut, wer tauchen kann,
    und auf ein Wort, Kollege Mensch,
    gestatten Sie,
    dass ich mich weiterhin verschwende.
     
    VI
     
    Innenschau und die Unschuld wiederfinden,
    mit den Tieren sprechen und den Bäumen,
    wandelbar sein, verwundbar,
    und ans Weiter glauben.
    Alle sind mündig,
    und die Unschuld ist niemands Privileg.
     
    Innenschau und die Liebe befreien,
    ab und zu ein Goethegedicht in die Hand nehmen,
    Idyllen meiden.
    Ausbreiten,
    mit lieben Menschen lange zu Abend essen,
    wenn’s geht, in Italien, Herbst oder Frühjahr,
    und sich einfach mal öfters anlangen.
     
    Innenschau und Exhibitionismus,
    durchs Land ziehen, aufpassen, wiedergeben,
    mehr weiß ich im Moment nicht zu tun.
    Hoff auf erweiterte Ausdrucksformen,
    wünsch meinen Eltern ein endlos langes Leben,
    versuch meinen Schwanz endlich an mich zu gewöhnen,
    bedank mich bei meinen Lieben fürs Mitmachen,
    hab furchtbare Angst vorm Sterben
    und will später unbedingt mal ein Engel werden.
    Parteibuch hab ich keins,
    und ab und zu im Winter
    leg ich mich auf die Sonnenbank,
    aus lauter Eitelkeit.
    Elegie für Pasolini
     
    I
     
    Auch wenn sie dich jetzt auf ihre Fahnen malen
    und mit diesem heiligen Eifer und Zorn
    die Mörder jagen   –
    was nützt das deinem eingeschlagenen Schädel,
    Paolo Pasolini?
    Du warst für sie immer eine schwule Sau,
    dekadent und pervers,
    ein Träumer,
    den Rechten zu viel Kommunist
    und deiner Partei zu viel Mensch.
     
    Du hast Genossen gesucht,
    und sie haben dir dafür
    dein Parteibuch zurückgegeben.
    »Trotzdem bleibe ich jetzt und immer Kommunist«,
    hast du geantwortet,
    und kurz vor deinem Tod:
    »Der Tod besteht nicht darin,
    dass man sich nicht mehr mitteilen,
    sondern dass man nicht mehr verstanden
    werden kann.«
     
    II
     
    Chor:
    Denn wer den Zweifel liebt,
    hat schon verloren,
    es kann nicht gut sein,
    wenn man abweicht von der Norm.
    Nur wer ein Glatzkopf ist,
    bleibt ungeschoren,
    und nur wer mitmarschiert,
    marschiert nach vorn!
     
    III
     
    Glaub mir, Paolo Pasolini,
    sieben Jahre nach deinem Tod
    hat sich nicht viel verändert.
    Die Veilchen blühen im Frühling
    nach dem gleichen Prinzip,
    und all die schönen,
    begehrenswerten Knaben
    schlagen nach wie vor
    ihren Freiern
    die Nasen ein.
    Die Faschisten haben dieselben
    Orgasmusprobleme
    und warten mit geblähten Samensträngen
    auf die Endlösung.
    Vom ägyptischen Weihrauchhandel
    bis zum konzertierten Börsenbetrug
    ist’s ein Atemzug,
    und die babylonischen Bankiers
    haben ihre Geschäfte
    in die oberen Etagen der Ölgesellschaften
    verlegt.
    Wir bauen immer noch fleißig ihre Pyramiden,
    nur,
    wo sollen die später mal graben?
    Hiroshima ist nur ein Vorort von Jericho   –
    aber ganz wird der große Endknall
    eines gewissen ästhetischen Reizes
    nicht

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