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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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in seiner Tasche. Gut, noch elf Stunden, und die Karten werden aus der Fabrik fort sein, und wenn es dann auch Nacht ist, er wird sie schon loswerden, er kann sie nicht noch einmal mit nach Haus nehmen. Anna ist imstande und steht auf, bloß um die Karten wegzubringen.
    Bei dieser neuen Belegschaft kann Quangel nicht seinen gewohnten Beobachterposten in der Mitte des Raumes einnehmen - wie das ratscht und tratscht! Er muß von einer Gruppe zur andern gehen, und hier wissen sie das noch nicht alle, was sein Schweigen und Starren bedeuten soll; manche haben ja sogar die Unverfrorenheit, sie wollen den Meister ins Gespräch ziehen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Arbeit so schnurrt, wie er es gewohnt ist, bis sie stiller sind und begriffen haben, daß es hier nichts gibt als arbeiten.
    Quangel will sich gerade an seinen Aufsichtsposten begeben, da stockt sein Fuß. Sein Blick weitet sich, ein
    Ruck geht durch ihn: vor ihm auf der Erde, auf dem mit Sägemehl und Hobelspänen bedeckten Fußboden der Werkstatt liegt die eine seiner beiden Karten.
    Es zuckt ihm in den Fingern, er will die Karte sofort heimlich aufheben und sieht, daß zwei Schritte weiter die andere liegt. Unmöglich, sie ungesehen aufzuheben. Immer wieder richtet sich der Blick eines Arbeiters auf den neuen Meister, und was die Weiber sind, so können sie es nicht lassen, ihn anzustarren, als hätten sie noch nie einen Mann gesehen.
    Ach was, ich hebe sie einfach auf, ob sie es nun sehen oder nicht! Was geht das die an! Nein, ich kann es nicht tun, die Karte muß hier schon eine Viertelstunde liegen, ein Wunder, daß sie nicht schon einer aufgehoben hat!
    Vielleicht hat sie aber schon einer gesehen und rasch wieder hingeworfen als er den Inhalt las. Wenn der mich die Karte aufheben und einstecken sieht!
    Gefahr! Gefahr! schreit es in Quangel. Äußerste Gefahr! Laß die Karte liegen! Tu, als hättest du sie nie gesehen, laß einen andern sie finden! Stell dich auf deinen Platz!
    Aber plötzlich geht etwas Seltsames in Otto Quangel vor. So lange nun schon, zwei Jahre nun schon hat er Postkarten geschrieben, verteilt - aber nie hat er ihre
    Wirkung gesehen. Immer nur hat er in seiner dunklen Höhle gelebt; was mit den Karten wurde, der Wirbel, den sie erzeugen mußten - er hat ihn sich hundertmal vorgestellt, aber er hat ihn nicht erlebt.
    Ich möchte das doch einmal sehen, ein einziges Mal!
    Was kann mir denn geschehen? Ich bin hier einer von achtzig Arbeitern, alle sind ebenso in Verdacht wie ich, ja mehr noch, weil mich jeder als altes Arbeitstier kennt, fern von aller Politik. Ich riskiere es, ich muß es einmal erleben.
    Und ehe er sich noch recht besonnen hat, ruft er einen Arbeiter an: «Du da! Heb das mal auf! Die Dinger muß einer verloren haben. Was ist das? Was glotzt du?»
    Er nimmt dem Arbeiter die eine Karte aus der Hand, er tut, als läse er sie. Aber er kann jetzt nicht lesen, seine eigene große Schrift in Blockbuchstaben kann er nicht lesen. Es ist ihm nicht möglich, den Blick vom Gesicht des Arbeiters abzuwenden, der auf die Karte starrt. Der Mann liest auch nicht mehr, aber seine Hand zittert, in seinem Blick ist Angst.
    Quangel starrt ihn an. Also Angst, nichts wie Angst.
    Der Mann hat die Karte nicht einmal zu Ende gelesen, er ist kaum über die erste Zeile hinausgekommen, da überwältigt ihn schon die Angst.
    Kichern läßt Quangel aufmerken. Er blickt auf und sieht, daß die halbe Werkstatt auf diese beiden Männer starrt, die da in der Arbeitszeit herumstehen, Postkarten lesend ... Oder fühlen sie schon, daß etwas Schreckliches geschehen ist?
    Quangel nimmt dem andern die Karte aus der Hand.
    Dieses Spiel muß er jetzt allein weiterspielen, der Mann ist so verschüchtert, daß er zu nichts mehr imstande ist.
    «Wo ist hier der Obmann von der Arbeitsfront? Der in den Manchesterhosen an dem Sägegatter? Gut! Geh an deine Arbeit, und daß du mir nicht schwatzt, sonst ergeht es dir schlecht!»
    «Höre!» sagt Quangel zu dem Mann am Sägegatter.
    «Komm mal einen Augenblick auf den Gang. Ich will dir was geben.» Und als die beiden draußen stehen: «Hier diese beiden Karten! Der Mann dahinten hat sie aufgehoben.
    Ich sah sie. Ich glaube, du mußt sie der Geschäftsführung bringen. Oder?»
    Der andere liest. Auch er liest nur ein paar Sätze. «Was ist das?» fragt er erschrocken. «Die haben hier bei uns in der
    Werkstatt gelegen? O Gott, das kann uns Kopf und Kragen kosten! Wer, sagst du, hat die Dinger aufgehoben?
    Hast du

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