Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
gesehen, wie er sie aufhob?»
    «Ich sage, ich habe ihm gesagt, er soll sie aufheben! Ich habe sie vielleicht zuerst gesehen. Vielleicht!»
    «O Gott, was soll ich nur tun mit den Dingern? Ich schmeiße sie einfach in den Abtritt!»
    «Du mußt sie auf der Direktion abliefern, sonst wirst du für schuldig angesehen. Der Mann, der sie fand, wird nicht immer den Mund halten. Lauf gleich, ich gehe unterdes für dich ans Gatter.»
    Der Mann geht zögernd. Er hält die Karten so in der Hand, als versengten sie ihm die Finger.
    Quangel kehrt in die Werkstatt zurück. Aber er kann sich nicht sofort ans Sägegatter stellen: die ganze Werkstatt ist voll Unruhe. Noch weiß niemand etwas Bestimmtes, aber daß etwas geschehen ist, das wissen sie alle. Sie stecken die Köpfe zusammen, sie wispern, und diesmal hilft nicht vogelhaft starres Blicken und Schweigen des Werkmeisters, um Ruhe zu scharren. Er muß, was er seit Jahren nicht mehr getan hat, laut schimpfen, er muß Strafen androhen, den Zornigen spielen.
    Und wenn es in der einen Ecke der Werkstatt ruhig geworden ist, so ist es in der anderen um so lauter, und läuft wieder alles so einigermaßen, entdeckt er, daß zwei, drei Maschinen nicht voll besetzt sind: auf dem Abtritt steckt die Bande! Er jagt sie dort auf, einer hat die Frechheit, ihn zu fragen: «Was haben Sie da vorhin eigentlich gelesen, Meister? War's wirklich ein Flugblatt vom Engländer?»
    «Tu deine Arbeit!» knurrt Quangel und treibt die Burschen vor sich her in die Werkstatt.
    Dort schwatzen sie schon wieder. Sie haben sich zu Trüppchen versammelt, eine nie dagewesene Unruhe herrscht. Quangel muß hin und her, muß schimpfen, drohen, schelten - der Schweiß steht auf seiner Stirn ...
    Und dabei denkt es immer weiter in ihm: Das also ist die erste Wirkung. Nur Angst. Soviel Angst, daß sie nicht einmal weiterlesen! Aber das hat nichts zu sagen.
    Sie fühlen sich hier beobachtet. Meine Karten hat meist einer allein gefunden. Der konnte sie in Ruhe lesen, überdenken, da taten sie ganz andere Wirkung. Ich ha-be ein blödes Experiment gemacht. Mal sehen, wie es abläuft. Eigentlich ist es gut, daß ich als Meister die Karten gefunden und abgeliefert habe, das wird mich entlasten. Nein, ich habe nichts riskiert. Und selbst wenn sie Haussuchung bei mir machen, sie finden nichts. Anna wird
    freilich einen Schreck kriegen - aber nein, ehe sie Haussuchung machen, bin ich schon wieder dort und bereite Anna vor ... 14 Uhr 2 Minuten -
    es müßte doch Schichtwechsel sein, jetzt kommt meine Schicht dran.
    Aber nichts von Schichtwechsel. Das Glockenzeichen ertönt nicht in der Werkstatt, die ablösende Belegschaft (Quangels eigentliche Belegschaft) erscheint nicht, die Maschinen surren weiter. Jetzt werden die Leute wirklich unruhig, immer häufiger stecken sie die Köpfe zusammen, sehen auf die Uhren.
    Quangel muß es aufgeben, ihrem Schwatzen Einhalt zu gebieten, er ist nur einer gegen achtzig Mann, er schafft es nicht mehr.
    Dann plötzlich erscheint ein Herr aus den Büros, ein feiner Herr mit scharfgebügelten Hosen und mit dem Parteiabzeichen. Er stellt sich neben Quangel und ruft in den Maschinenlärm: «Belegschaft! Herhören!»
    Alle Gesichter wenden sich ihm zu, bloß neugierige, erwartungsvolle, finstere, ablehnende, gleichgültige.
    «Die Belegschaft arbeitet aus besonderen Gründen vorläufig weiter. Überstundenlohn wird bezahlt!»
    Er macht eine Pause, alle sehen ihn starr an. Ist das alles?
    Aus besonderen Gründen! Sie erwarten mehr!
    Aber er schreit nur: «Weiterarbeiten die Belegschaft!»
    Und zu Quangel gewendet: «Sie sorgen für absolute Ruhe und Fleiß, Meister! Wer ist der Mann, der diese Karten aufgehoben hat?»
    «Ich habe sie zuerst gesehen, glaube ich.»
    «Ich weiß schon. Also der da? Schön, Namen wissen Sie doch?»
    «Nein. Dies ist nicht meine Belegschaft.»
    «Ich weiß schon. Ach, sagen Sie der Belegschaft noch, daß das Betreten der Aborte vorläufig nicht möglich ist, jedes Verlassen des Arbeitsraumes ist verboten. An jeder Tür stehen zwei Posten - draußen!»
    Und der scharfgebügelte Herr nickt Quangel flüchtig zu und geht.
    Quangel geht von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz. Einen Augenblick sieht er auf die Arbeit, auf die Hände der Arbeitenden. Dann sagt er: «Das Verlassen des Arbeitsraumes und das Betreten der Aborte ist vorläufig verboten.
    An jeder Tür stehen zwei Posten - draußen!»
    Und ehe sie noch etwas haben fragen können, ist er zum nächsten Arbeitsplatz

Weitere Kostenlose Bücher