Jeder stirbt für sich allein
fortsetzen .»
«Schön, schön. Das ist also jedenfalls ein Anfang. Sie erstatten mir täglich Bericht ...»
«Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!»
Ja, dies war die zweite Unterredung bei Wiederaufnah-me seines Dienstes, die einigen Eindruck auf den Kriminalkommissar Escherich machte. Im übrigen sah man ihm nichts mehr von seinen Erlebnissen an, nachdem auch die Zahnlücke wieder geschlossen war. Die Kollegen fanden sogar, Escherich sei sehr viel netter geworden seitdem.
Das machte, daß er den Ton spöttischer Überlegenheit völlig verloren hatte. Keinem Menschen konnte er sich noch überlegen fühlen.
Kommissar Escherich arbeitet, macht Recherchen, nimmt Vernehmungen vor, fertigt Personalbeschreibungen an, liest in Akten, telefoniert - Escherich arbeitet wie eh und je. Aber wenn ihm auch keiner was ansieht, und wenn er auch hofft, eines Tages wieder ohne Zittern mit seinem Vorgesetzten Prall reden zu können, Escherich weiß, er wird nie wieder der alte. Er ist bloß noch eine Arbeitsmaschine, was er tut, ist Routinearbeit. Mit dem
Überlegenheitsgefühl schwand auch die Freude an der Arbeit, der Dünkel war der Dünger, der seine Früchte reifte.
Escherich hat sich immer sehr sicher gefühlt. Er hat immer geglaubt, ihm könne nichts geschehen. Er hat angenommen, er sei ein ganz anderer Mensch als die andern.
Und Escherich hat all diese Selbsttäuschungen aufgeben müssen, eigentlich in den paar Sekunden, als ihm der SS-Mann Dobat die Faust in den Mund schlug und er Angst lernte. Escherich hat in wenigen Tagen so gründlich Angst gelernt, daß er sie in seinem ganzen Leben nicht wieder verlernen wird. Er weiß, er kann aussehen wie er will, er kann das Unmögliche erreichen, er kann geehrt und gefeiert werden - er weiß, er ist gar nichts. Ein Faustschlag kann ihn in ein heulendes, zitterndes, angstvolles Garnichts verwandeln, nicht viel besser als der kleine, stinkende, feige Taschendieb, mit dem er tagelang die Zelle geteilt hat und dessen eiligst geleierte Gebete ihm jetzt noch im Ohr sind. Nicht so sehr viel besser. Nein, gar nicht besser!
Aber eines hält den Kommissar Escherich noch aufrecht, das ist der Gedanke an den Klaubautermann. Den Kerl muß er noch fassen, hinterher kann seinethalben werden, was will. Er muß diesem Mann ins Auge sehen, er muß mit diesem Mann sprechen, der die Ursache seines Un-glücks geworden ist. Er will es ihm ins Gesicht sagen, diesem Fanatiker, welch Unheil, Sorge, Not er über viele Menschen
gebracht hat. Er wird ihn zerschmettern, diesen Feind im Dunkeln.
Hätte er ihn doch schon!
Der verhängnisvolle Montag
An diesem Montag, der den Quangels so verhängnisvoll werden sollte;
an diesem Montag, acht Wochen, nachdem Escherich wieder in sein Amt eingesetzt war;
an diesem Montag, an dem Emil Borkhausen zu zwei Jahren Gefängnis, die Ratte Klebs zu einem Jahr verurteilt wurde;
an diesem Montag, da Baldur Persicke endlich aus seiner Napola in Berlin eintraf und seinen Vater in der Trinkerheilstätte besuchte;
an diesem Montag, da Trudel Hergesell auf dem Bahnhof Erkner die Treppe hinunterfiel und dadurch eine Fehlgeburt hatte;
an diesem schicksalsreichen Montag also lag Anna Quangel mit einer schweren Grippe im Bett. Sie fieberte stark. An ihrer Seite saß Otto Quangel, der Doktor war gegangen. Sie stritten sich darüber, ob er heute die Karten austragen sollte oder nicht.
«Du gehst nicht mehr, wir haben das fest ausgemacht, Otto! Die Karten haben auch bis morgen oder übermorgen Zeit, da bin ich wieder auf den Beinen!»
«Ich will die Dinger aus dem Hause haben, Anna!»
«Dann gehe ich eben!» Und Anna richtete sich in ihrem Bett auf.
«Du bleibst liegen!» Er drückte sie in die Kissen zurück.
«Anna, sei nicht töricht. Ich habe hundert, ich habe zweihundert Karten eingesteckt ...»
In diesem Augenblick ging die Klingel.
Sie fuhren erschrocken zusammen wie die ertappten Diebe. Quangel steckte rasch die beiden Karten ein, die bisher auf der Bettdecke gelegen hatten.
«Wer kann das sein?» fragte Frau Anna ängstlich.
Und auch er: «Um diese Zeit? Morgens elf Uhr!»
Sie rief: «Vielleicht ist bei Heffkes was passiert? Oder der Doktor ist noch einmal zurückgekommen?»
Wieder ging die Klingel.
«Ich werde mal nachsehen», murmelte er.
«Nein», bat sie. «Bleib sitzen. Wenn wir mit den Karten unterwegs gewesen wären, hätte der auch umsonst geklingelt!»
«Nur mal nachsehen, Anna!»
«Nein, mach nicht auf, Otto! Ich bitte dich! Ich habe ein
Weitere Kostenlose Bücher