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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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altersfleckige Hand mit den hohen blauen Adern fest auf ihre Schultern. «Sie können Ihren Mann ebensowenig besuchen, wie er Sie besuchen kann.
    Ein solcher Besuch nützt ihm nichts, denn Sie kommen nicht bis zu ihm, und er schadet nur Ihnen.»
    Er sah sie an.
    Plötzlich lächelten seine Augen nicht mehr, auch seine Stimme klang streng. Sie begriff, daß dieser kleine, sanfte gütige Mann einem unerbittlichen Gesetz in sich folgte, wohl dieser Gerechtigkeit, von der er gesprochen hatte.
    «Frau Rosenthal», sagte er leise, «Sie sind mein Gast -
    solange Sie die Gesetze der Gastfreundschaft befolgen, von denen ich Ihnen gleich ein paar Worte sagen werde.
    Dieses ist das erste Gebot der Gastfreundschaft: Sobald Sie eigenmächtig handeln, sobald einmal, ein einziges Mal nur, die Tür dieser Wohnung hinter Ihnen zugeschlagen ist, öffnet sich diese Tür Ihnen nie wieder, ist Ihr und Ihres Mannes Name für immer ausgelöscht hinter dieser Stirn. Sie haben mich verstanden?»
    Er berührte leicht seine Stirn, er sah sie durchdringend an. Sie flüsterte leise ein «Ja».
    Erst jetzt nahm er die Hand wieder von ihrer Schulter.
    Seine vor Ernst dunkel gewordenen Augen wurden wieder heller, langsam nahm er seine Wanderung von neuem auf. «Ich bitte Sie», fuhr er leichter fort, «das Zimmer, das ich Ihnen gleich zeigen werde, bei Tage nicht zu verlassen, auch sich dort nicht am Fenster aufzuhalten. Meine Bedienerin ist zwar zuverlässig, aber ...» Er brach unmutig ab, er sah jetzt nach dem Buch unter der Leselampe hin
    über. Er fuhr fort: «Versuchen Sie es wie ich, die Nacht zum Tage zu machen. Ein Schlafmittel werde ich Ihnen täglich hineinschicken. Mit Essen versorge ich Sie des Nachts. Wenn Sie mir jetzt folgen wollen?»
    Sie folgte ihm auf den Korridor hinaus. Sie war jetzt wieder etwas verwirrt und verängstigt, ihr Gastgeber war so völlig verändert. Aber sie sagte sich ganz richtig, daß der alte Herr seine Stille über alles liebte und kaum noch den Umgang mit Menschen gewohnt war. Er war jetzt ihrer müde, er sehnte sich nach seinem Plutarch zurück, wer das immer auch sein mochte.
    Der Rat öffnete eine Tür vor ihr, schaltete das Licht ein.
    «Die Jalousien sind geschlossen», sagte er. «Es ist hier auch verdunkelt, lassen Sie das bitte so, es könnte Sie sonst einer aus dem Hinterhaus sehen. Ich denke, Sie werden hier alles finden, was Sie brauchen.»
    Er ließ sie einen Augenblick dies helle, fröhliche Zimmer betrachten mit seinen Birkenholzmöbeln, einem vollbesetzten, hochbeinigen Toilettetischchen und einem Bett, das noch einen «Himmel» aus geblümtem Chintz besaß.
    Er sah das Zimmer an wie etwas, das er lange nicht gesehen und nun wiedererkannte. Dann sagte er mit tiefem Ernst: «Es ist das Zimmer meiner Tochter. Sie starb im Jahre 1933 - nicht hier, nein, nicht hier. Ängstigen Sie sich nicht!»
    Er gab ihr rasch die Hand. «Ich schließe das Zimmer nicht ab, Frau Rosenthal», sagte er, «aber ich bitte Sie, sich jetzt sofort einzuriegeln. Sie haben eine Uhr bei sich?
    Gut! Um zehn Uhr abends werde ich bei Ihnen klopfen.
    Gute Nacht!»
    Er ging. In der Tür wandte er sich noch einmal um. «Sie werden in den nächsten Tagen sehr allein sein mit sich, Frau Rosenthal. Versuchen Sie, sich daran zu gewöhnen.
    Alleinsein kann etwas sehr Gutes bedeuten. Und
    vergessen Sie nicht: Es kommt auf jeden Überlebenden an, auch auf Sie, grade auf Sie! Denken Sie an das Abriegeln!»
    Er war so leise gegangen, so leise hatte er die Tür geschlossen, daß sie erst zu spät merkte, sie hatte ihm weder gute Nacht gesagt noch gedankt. Sie ging rasch zur Tür, aber schon während des Gehens besann sie sich. Sie drehte nur den Riegel zu, dann ließ sie sich auf den nächsten Stuhl nieder, ihre Beine zitterten. Aus dem Spiegel des Toilettetischchens schaute sie ein bleiches, von Tränen und Wachen gedunsenes Gesicht an. Sie nickte langsam, trübe diesem Gesicht zu.
    Das bist du, Sara, sagte es in ihr. Lore, die jetzt Sara genannt wird. Du bist eine tüchtige Geschäftsfrau gewesen, immer tätig. Du hast fünf Kinder gehabt, eines lebt nun in Dänemark, eines in England, zwei in den USA, und eines liegt hier auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee. Ich bin nicht böse, wenn sie dich Sara nennen. Aus der Lore ist immer mehr eine Sara geworden; ohne daß sie es wollten, haben sie mich zu einer Tochter meines Volkes gemacht, nur zu seiner Tochter. Er ist ein guter, feiner, alter Herr, aber so fremd, so fremd

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