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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Kammergerichtsrat damit gemeint hat, ich muß ihn heute abend danach fragen. Aber wahrscheinlich wird er nur lächeln und irgend etwas sagen, mit dem ich gar nichts anfangen kann, weil ich ein richtiger Mensch bin, heute noch, aus Fleisch und Blut, eine alt gewordene Sara.
    Sie stützte sich mit der Hand auf den Toilettetisch, sie betrachtete düster ihr Gesicht, das von einem Netz von Fältchen überzogen war. Fältchen, die Sorge, Angst, Haß und Liebe gezogen hatten. Dann kehrte sie zu ihrem Tisch zurück, zu ihren Schmucksachen. Sie zählte, nur um die Zeit hinzubringen, die Scheine immer wieder durch; später versuchte sie, alle Scheine nach Serien und Nummern zu ordnen. Dann und wann schrieb sie auch einen Satz in dem Brief an ihren Mann. Aber es wurde kein Brief, nur ein paar Fragen: Wie er denn untergebracht sei, was er zu essen bekomme, ob sie nicht für seine Wäsche sorgen könne? Kleine, belanglose Fragen. Und: Ihr ging es gut.
    Sie war in Sicherheit.
    Nein, kein Brief, ein sinnloses, unnötiges Geschwätz, dazu auch unwahr. Sie war nicht in Sicherheit. Noch nie hatte sie sich in den letzten grauenvollen Monaten so in Gefahr gefühlt wie in diesem stillen Zimmer. Sie wußte, sie mußte sich hier verändern, sie würde sich nicht entwi-schen können. Und sie hatte Angst vor dem, was aus ihr werden konnte. Vielleicht mußte sie dann noch Schrecklicheres erleiden und ertragen, sie, die schon ohne ihren Willen aus einer Lore zu einer Sara geworden war.
    Später legte sie sich doch auf das Bett, und als ihr Gastgeber um zehn Uhr gegen ihre Tür klopfte, schlief sie so fest, daß sie ihn nicht hörte. Er öffnete die Tür vorsichtig mit einem Schlüssel, der den Riegel zurückschob, und als er die Schlafende sah, nickte er und lächelte. Er holte ein Tablett mit Essen, setzte es auf den Tisch, und als er dabei die Schmucksachen und das Geld beiseite schob, nickte und lächelte er wieder. Leise ging er aus dem Zimmer, drückte den Riegel wieder herum, ließ sie schlafen ...
    So kam es, daß Frau Rosenthal in den ersten drei Tagen ihrer «Schutzhaft» keinen einzigen Menschen zu sehen bekam. Sie verschlief stets die Nacht, um zu einem schrecklichen, angstgequälten Tag zu erwachen. Am vierten Tage, halb von Sinnen, tat sie dann etwas ...

Es ist immer noch Mittwoch
    Die Gesch hatte es doch nicht über sich gebracht, den kleinen Mann auf ihrem Sofa nach einer Stunde zu wek-ken. Er sah so bemitleidenswert aus, wie er dalag in seinem Erschöpfungsschlaf, die Flecke auf seinem Gesicht fingen jetzt an, rotblau anzulaufen.
    Er hatte die Unterlippe vorgeschoben wie ein trauriges Kind, und manchmal zitterten seine Lider, und seine Brust hob sich in einem schweren Seufzer, als wolle er gleich jetzt in seinem Schlaf losweinen.
    Als sie ihr Mittagessen fertig hatte, weckte sie ihn und gab ihm zu essen. Er murmelte etwas wie einen Dank. Er aß wie ein Wolf und warf dabei Blicke auf sie, aber er sprach mit keinem Wort von dem, was geschehen war.
    Schließlich sagte sie: «So, mehr kann ich Ihnen nicht geben, sonst bleibt für Gustav nicht genug. Legen Sie sich nur auf das Sofa und schlafen Sie noch ein bißchen. Ich werde dann selbst mit Ihrer Frau ...»
    Er murmelte wieder etwas, unkenntlich, ob Zustimmung oder Ablehnung. Aber er ging willig zum Sofa, und eine Minute später war er wieder fest eingeschlafen.
    Als am späten Nachmittag Frau Gesch die Flurtür der Nachbarin gehen hörte, schlich sie leise hinüber und klopfte.
    Eva Kluge öffnete sofort, aber sie stellte sich so in die Tür, daß sie den Eintritt verwehrte. «Nun?» fragte sie feindlich.
    «Entschuldigen Sie, Frau Kluge», fing die Gesch an,
    «wenn ich Sie noch mal störe. Aber Ihr Mann liegt drüben bei mir. So 'n Bulle von der SS hat ihn heute früh angeschleppt, Sie können kaum weg gewesen sein.»
    Eva Kluge verharrte in ihrem feindlichen Schweigen, und die Gesch fuhr fort: «Sie haben ihn ganz schön zugerichtet, da ist kein Fleck an ihm, der nich was abgekriegt hat. Ihr Mann mag sein, wie er will, aber so können Sie ihn nicht vor die Tür setzen. Sehen Sie ihn sich bloß mal an, Frau Kluge!»
    Sie sagte unbeugsam: «Ich habe keinen Mann mehr, Frau Gesch. Ich hab's Ihnen gesagt, ich will nichts mehr davon hören.»
    Und sie wollte in ihre Wohnung zurück. Die Gesch sagte eifrig: «Seien Sie nicht so eilig, Frau Kluge. Schließlich ist es Ihr Mann. Sie haben Kinder mit ihm gehabt ...»
    «Darauf bin ich besonders stolz, Frau Gesch, darauf

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