Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
Verbundenheit mit den Menschen, bei denen sie aufwachsen, nicht verlieren.
Aber in unserer Welt machen Kinder früh ganz andere Erfahrungen. Und die tun weh. Erwachsene können gehen, wenn sie mit jemandem zusammenleben sollen, der sie nicht mag oder nur für irgendetwas benutzt. Oder sie können den anderen einfach vor die Tür setzen. Sie müssen auch nicht bei Leuten wohnen, die sich ständig streiten und angiften. Sie können denen auch mal die Meinung sagen. Aber Kinder können das alles nicht. Sie müssen diese ganze Lieblosigkeit, die Ermahnungen und klugen Ratschläge, die unausgesprochenen Erwartungen und beleidigten Reaktionen von Menschen, mit denen sie sich eng verbunden fühlen, aushalten. Das würde kein Erwachsener schaffen, ohne sich bis zur eigenen Unkenntlichkeit zu verbiegen. Aber Kinder schaffen das. Zur Not, indem sie versuchen, sich von denen, die sie bedingungslos lieben, innerlich zu trennen. Dann hören sie nicht mehr zu, wenn Mama oder Papa oder jemand anderes, den sie am liebsten umarmen würden, etwas zu ihnen sagt. Sie antworten nicht mehr. Sie lassen sich auch nicht mehr in die Arme nehmen und wollen nichts mehr gemeinsam mit ihnen machen. Sie ziehen sich zurück oder suchen sich andere, denen sie ihre Zuneigung schenken können. Sie leiden, fühlen sich innerlich zerrissen, werden widerborstig und sind wütend und frustriert.
All diese Erfahrungen verankern sich im Frontalhirn. Sie verdichten sich zu dem, was wir später bei Erwachsenen innere Einstellungen und Haltungen nennen. Kinder, die durch solche ungünstigen Erfahrungen geprägt werden und entsprechende Haltungen entwickelt haben, werden dann als Erwachsene zumindest eines können: eine Welt aushalten und sich in einer Welt zurechtfinden, die lieblos ist. So wie wir.
Wenn die Entdeckerfreude verdorben wird
Deutschland hat ein Problem. Es will mehr für Kinder tun. Aber viele machen da nicht mit. Die Klagen gegen den Bau von Krippen, Kindergärten und Kinderspielplätzen häufen sich. Wo Kinder spielen, fühlen sich Erwachsene belästigt. Mittlerweile wird fast jeder Versuch, Flächen für Kinder zu schaffen, zu einer komplizierten juristischen Angelegenheit. In einer Untersuchung des Bundesverbandes für Freiraumgestaltung in Köln unter Spielplatzplanern in 50 deutschen Großstädten beklagt eine deutliche Mehrheit Konflikte mit Nachbarn wegen möglicher Lärmbelästigung als das größte Problem.
Kinder lernen früh, dass sie im Weg stehen. Nicht erwünscht sind. Wie der kleine Moritz zum Beispiel. Fünf Jahre jung, wache Augen, immer in Bewegung. Wenn man ihn lässt. Wir haben ihn in einem Hamburger Vorort getroffen. Wo viele Familien wohnen, weil es ein wenig ruhiger ist als in der Innenstadt und die Preise eher noch bezahlbar sind. Wenn Moritz groß ist, möchte er Autofahrer werden. So wie seine Mutter. Die bringt ihn jeden Morgen in einem schönen schwarzen Wagen zum Kindergarten. Dort holt Moritz das Bobbycar aus dem Schuppen und übt schon mal. Brüllen. Hupen. Treten. Das bringt Spaß, das macht Krach. Aber jetzt muss er drinnen bleiben. Der Musiklehrer von nebenan hat gesagt, er kann so nicht arbeiten. Er arbeitet gern bei geöffnetem Fenster.
Dass Moritz und seine Freunde beim Spielen auf das angrenzende letzte unverbaute Wiesenstück gerieten, dort, wo sich bei Regen ein kleines Rinnsal mit Wasser füllt und eine knorrige Eiche Schatten spendet, ist mal passiert, kommt aber nicht wieder vor. Der Nachbar von schräg gegenüber schichtet hier Kompost und sagt, er habe ein Nutzungsrecht. Seitdem bleiben die Kinder innerhalb des Zauns. Die Erzieherinnen wollen keinen Streit. Sie haben den Kindern auch gesagt, sie sollten nicht hinter der Rückwand des Kindergartens spielen. Man könnte sich gut verstecken dort, aber die Nachbarn sähen das nicht gern. Sie lieben das gemeinsame Frühstück mit ihren Kindern auf ihrer rosenumrankten Terrasse, es ist wirklich schön hier draußen. Einmal kam die Mutter herüber und erklärte, der Kindergarten würde den Wert ihres Grundstückes mindern. So um die 20 Prozent, das habe ein Makler geschätzt. Bitte nicht falsch verstehen, das sei nicht böse gemeint. Moritz und seine Eltern hatten sich also abgefunden mit der Situation. Arrangiert. Wie das so ist auf engem Raum. Man hatte sich gemeinsam gewöhnt an das leise Dröhnen eines Airbus– die Kinder sagen » Dumbo« dazu–, der regelmäßig, meist am Mittag, den Kindergarten von Moritz überfliegt. An den Lärm der
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