Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
besinnungslos gesoffen. Oder sie hatten auf einmal Angst vor den Folgen bekommen und begnügten sich lieber mit ihren fetten Weibern oder ihren schwieligen Händen, weil das sicherer war, einfacher als das, was sie mit ihr vorhatten. Bei dir daheim flachgelegt... Ein lauter Knall hallte durch die Nacht. Sie fuhr auf. Ein Schuss. Allem Anschein nach von dort, wo sie den Feuerschein gesehen hatte. Kurz darauf fiel ein zweiter Schuss. Diesmal näher. Sie atmete tief durch, bezähmte die aufflackernde Furcht und ergriff ihren Streitkolben. Wollte nicht durch das dunkle Fenster blicken und konnte sich doch nicht davon losreißen. Hatte Angst davor, dass Toms feistes Gesicht im Fensterrahmen auftauchen, sie angrinsen könnte. Wir kommen wieder... Ein scharfer Wind war aufgekommen, unter dem sich die Bäume bogen, die Sträucher und das Gras. Sie meinte ein raues Lachen zu hören, von einem Mann, doch das Geräusch ging im Heulen des Windes unter, das sich anhörte wie der Ruf eines Geisterwesens der Weapemeoc. Sie glaubte jemanden rufen zu hören, eine Männerstimme.
»Bereite dich schon mal drauf vor, bereite dich schon mal drauf vor...« Aber vielleicht auch nicht.
»Hast du die Schüsse gehört?«, fragte Rich Culbeau Harris Tomel. Sie saßen um ein verglimmendes Lagerfeuer. Sie waren unruhig und nicht annähernd so betrunken wie sonst, wenn sie auf die Jagd gingen, weit weniger sogar, als ihnen recht war. Der Schwarzgebrannte dröhnte einfach nicht richtig rein.
»Faustfeuerwaffe«, sagte Tomel.
»Großes Kaliber. Zehn Millimeter, vielleicht auch vierundvierziger oder fünfundvierziger Automatik.«
»Quatsch«, sagte Culbeau.
»Man kann nicht feststellen, ob es eine Automatik ist oder nicht.«
»Kann man wohl«, belehrte ihn Tomel.
»Ein Revolver ist lauter - weil nämlich Trommel und Lauf nicht fest abschließen. Ist doch logisch.«
»Quatsch«, wiederholte Culbeau.
»Wie weit entfernt?«, fragte er dann.
»Feuchte Luft. Bei Nacht... Schätzungsweise vier, fünf Meilen.« Tomel seufzte.
»Ich will die Sache endlich hinter mich bringen.«
»Klar«, versetzte Culbeau.
»In Tanner's Corner war's einfacher. Jetzt wird's allmählich haarig.«
»Verfluchte Viecher«, sagte Tomel und erschlug eine Mücke.
»Auf was könnte man denn um die Zeit noch schießen wollen? Es ist fast eins.«
»Auf einen Waschbären, der im Müll rumkramt, auf einen Schwarzbär, der ins Zelt rein will, auf einen Mann, der die Frau von jemand anderem bumst.« Culbeau nickte.
»Schau - Sean schläft. Der kann überall und jederzeit pennen.«
»Weil er diese Scheißmedikamente nimmt.«
»Ach ja? Hab ich nicht gewusst.«
»Deswegen schläft er doch ständig. Er benimmt sich komisch, findest du nicht?«, fragte Tomel und warf dem dürren Mann einen Blick zu, als betrachtete er eine gefährliche schlafende Schlange.
»Mir hat er besser gefallen, als man nicht genau wusste, wie man mit ihm dran ist. Jetzt, wo er ständig so ernst ist, macht er mir eine Höllenangst. Wie der die Knarre hält, als ob's sein Schwanz wär.«
»Da hast du Recht«, murmelte Tomel und starrte eine Zeit lang in den düsteren Wald. Er seufzte auf.
»Hey, hast du das Mückenspray da?«, sagte er dann.
»Die fressen mich bei lebendigem Leib. Und reich mir mal die Flasche rüber, wenn du schon dabei bist.« Amelia Sachs schlug die Augen auf, als sie die Schüsse hörte. Sie blickte in das Schlafzimmer des Wohnwagens, wo Garrett auf der Matratze lag. Er hatte offenbar nichts mitbekommen. Ein weiterer Schuss. Wieso ballert jemand so spät in der Gegend herum?, fragte sie sich. Die Schüsse erinnerten sie wieder an den Vorfall auf dem Fluss - als Lucy und die anderen auf das Boot gefeuert hatten, weil sie meinten, Sachs und Garrett hätten sich darunter versteckt. Nur zu deutlich hatte sie die Wasserfontänen vor Augen, die unter den Schrotladungen aufgespritzt waren. Sie spitzte die Ohren, hörte aber keine weiteren Schüsse. Hörte nichts als den Wind. Und die Zikaden natürlich. Sie führen ein total irres Leben... Die Larven graben sich im Boden ein
und bleiben dort irgendwie siebzehn Jahre lang, bis die Nymphen
ausschlüpfen... All die Jahre sind sie unter der Erde, verstecken sich einfach, bis sie rauskommen und mit einem Mal erwachsen sind.« Doch bald darauf war sie wieder mit den Gedanken beschäftigt, die ihr durch den Kopf gegangen waren, bevor sie die Schüsse gehört hatte. Amelia Sachs hatte an einen leeren Stuhl gedacht. Nicht an Dr. Pennys
Weitere Kostenlose Bücher