Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
noch. Dann stand sie auf.
»Woher haben Sie das gewusst?«
»Hab ich nicht. Der Anruf eben kam von Lincoln. Er hat in Garretts Büchern gelesen. Dort war ein Absatz unterstrichen, in dem es um die Larve der Ameisenjungfer geht, den so genannten Ameisenlöwen. Er gräbt sich ein Loch, und wenn seine Beute reinfällt, beißt er sie tot. Garrett hat den Absatz eingekreist, und die Tinte war erst ein paar Tage alt. Rhyme musste an die abgerissenen Kiefernnadeln und die Angelschnur denken. Ihm ist eingefallen, dass der Junge möglicherweise eine Fallgrube ausgehoben haben könnte, und er hat mir gesagt, ich soll auf Kiefernzweige achten, die auf dem Pfad liegen.«
»Los, wir räuchern das Nest aus«, schlug Jesse vor.
»Nein«, sagte Amelia.
»Aber es ist gefährlich.« Lucy pflichtete ihrer Kollegin bei.
»Ein Feuer würde uns verraten, und Garrett wüsste dann, wo wir sind. Wir lassen die Grube einfach offen, damit sie jeder sieht. Wir können ja hinterher zurückkommen und uns darum kümmern. Hier kommt sowieso kaum jemand vorbei.« Amelia nickte. Sie nahm ihr Telefon zur Hand.
»Wir haben sie gefunden, Rhyme. Niemand wurde verletzt. Es war keine Bombe - er hat ein Hornissennest reingelegt... Okay. Wir passen auf... Lies das Buch weiter. Sag uns Bescheid, wenn du noch auf irgendwas stößt.« Sie setzten sich wieder in Bewegung und zogen eine weitere Viertelmeile den Pfad entlang, ehe es Lucy über sich brachte, Sachs anzusprechen.
»Danke. Sie hatten Recht. Er ist hier vorbeigekommen. Ich habe mich geirrt.« Sie zögerte einen Moment lang und fügte dann hinzu:
»Jim hat eine gute Wahl getroffen - als er Sie aus New York hergeholt hat. Ich war erst gar nicht begeistert davon, aber solange was dabei rauskommt, hab ich nichts dagegen einzuwenden.« Amelia runzelte die Stirn.
»Uns hergeholt? Was meinen Sie damit?«
»Damit Sie uns helfen.«
»Das hat er doch gar nicht gemacht.«
»Nein?«, fragte Lucy.
»Nein, wir waren im Klinikum drüben in Avery. Lincoln will sich dort operieren lassen. Jim hat gehört, dass wir hierher wollten, und ist heute Morgen vorbeigekommen, um uns zu fragen, ob wir uns ein paar Spuren ansehen könnten.« Langes Schweigen. Dann lachte Lucy erleichtert auf.
»Und ich dachte, er hat nach der Entführung gestern Geld beim Bezirk locker gemacht, um euch einfliegen zu lassen.« Amelia schüttelte den Kopf.
»Die Operation findet erst übermorgen statt. Wir hatten ein bisschen Freizeit. Das ist alles.«
»Dieser Kerl - Jim. Er hat kein Wort drüber verloren. Der kann manchmal so was von zugeknöpft sein.«
»Haben Sie etwa gedacht, er hat Ihnen den Fall nicht zugetraut?«
»Ja, ich glaube, genau das hab ich gedacht.«
»Jims Cousin arbeitet in New York mit uns zusammen. Er hat Jim erzählt, dass wir auf zwei, drei Wochen hierher kommen.«
»Moment, meinen Sie etwa Roland?«, fragte Lucy.
»Klar, den kenn ich. Hab auch seine Frau gekannt, als sie noch gelebt hat. Seine Jungs sind reizend.«
»Sie waren vor nicht allzu langer Zeit bei mir zum Grillen«, sagte Amelia. Lucy lachte erneut auf.
»Ich glaube, ich war ein bisschen überspannt... So, Sie waren also drüben in Avery? Im Klinikum?«
»Ja, genau.«
»Dort arbeitet Lydia Johansson. Sie ist dort Schwester, müssen Sie wissen.«
»Ach so.« Dutzende Erinnerungen schössen Lucy Kerr durch den Kopf. Manche waren wohl tuend, andere so grässlich wie der Hornissen-schwarm, den sie um ein Haar aufgescheucht hätte. Sie war sich nicht darüber im Klaren, ob sie Amelia Sachs davon erzählen wollte oder nicht. Schließlich rang sie sich zu einer Erklärung durch.
»Deswegen will ich sie ja unbedingt retten. Ich war vor ein paar Jahren gesundheitlich nicht ganz auf dem Posten, und Lydia war eine meiner Schwestern. Sie ist ein tüchtiges Mädchen. Herzensgut.«
»Wir werden sie retten«, erwiderte Amelia, und sie sagte es in einem Tonfall, den Lucy manchmal - nicht oft, aber manchmal -auch an sich wahrgenommen hatte. Ein Tonfall, der keinen Zweifel ließ. Sie gingen jetzt langsamer. Die Falle hatte sie alle aufgeschreckt. Und die Hitze war einfach mörderisch.
»Bei dieser Operation, die Ihrem Freund bevorsteht«, sagte Lydia zu Amelia,
»geht's dabei um seinen... Zustand?«
»Ja.«
»Was gucken Sie so?«, fragte Lucy, als sie Sachs' finstere Miene bemerkte.
»Vermutlich bringt es gar nichts.«
»Warum tut er's dann?«
»Es besteht die Möglichkeit, dass es etwas nützen könnte«, erklärte Amelia.
»Eine geringe
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