Jeier, Thomas
Mississippi und Ohio seien Vorfahren der Azteken gewesen und erst im 14. Jahrhundert nach Mexiko gezogen. Das Ende der Mississippi-Kultur geht dem Beginn der aztekischen Kultur um wenige Jahrzehnte voraus, Zeit genug, um aus bisher unerfindlichen Gründen nach Süden zu wandern und sich dort anzusiedeln. Aztalan, die sagenumwobene Heimat aller Azteken, wird in den Legenden der Azteken als mystische Insel in einem großen See geschildert. Die Beschreibung der »Insel der Reiher« passt aber auch auf Cahokia, die mächtige Hauptstadt der Moundbuilders am Zusammenfluss von Mississippi und Missouri. »Monk’s Mound«, die über dreißig Meter hohe Pyramide der Stadt, war das höchste präkolumbianische Bauwerk nördlich von Mexiko und wies erstaunliche Ähnlichkeiten zur Architektur mesoamerikanischen Kulturen auf.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Moundbuilders, ähnlich wie die Anasazi, rege Handelsbeziehungen mit ihnen unterhielten. Anders als die Anasazi fanden jedoch die Moundbuilders in der waldreichen Umgebung der Täler des Mississippi und des Ohio ganz ähnliche Lebensbedingungen wie die Mesoamerikaner vor und konnten deren Alltagskultur nahezu deckungsgleich übernehmen. Sie beschränkten sich nicht darauf, die materiellen Segnungen der fremden Zivilisation zu adaptieren, sondern glichen selbst ihre soziale Struktur den weiter entwickelten Nachbarn im Süden an. Ihre Priester verlangten den gleichen Respekt wie die geistigen Führer der Tolteken und später der Azteken und sahen Menschenopfer als dringend notwendig an, um die Gunst der mächtigen, für ihre Ernte so wichtigen Sonne zu bewahren. Im Gegensatz zu den Anasazi setzten sie zu ihrer Blütezeit fast ausnahmslos auf den Ackerbau und sahen im Handel mit Nachbarn eine gute Möglichkeit, durch Austausch von Wissen ihren eigenen Horizont zu erweitern und neues Saatgut sowie bessere Materialien zu erlangen. Krieg betrachteten sie nur als letztes Mittel, um sich gegen angreifende Feinde zu verteidigen und ihre Äcker und Weideflächen zu sichern. Ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein gründete in einem starken Glauben an die mächtige Sonne und an den Lohn, den die Götter ihnen für die aufwändigen Zeremonien und Menschenopfer gewähren würden.
Die Ära der Moundbuilders unterteilen die Wissenschaftler in drei Perioden: Adena, Hopewell und Mississippi. Diese Bezeichnungen gehen zum einen zurück auf den Namen des Farmers Adena, dessen Anwesen auf einem der Grabhügel stand, zum anderen auf die Bezeichnungen von Orten, in deren Nähe die Fundorte der Mounds liegen. Alle drei Kulturen überboten sich im Bau von Pyramiden und Erdhügeln, sogenannten »Mounds«, die sich bereits während der Adena-Periode zwischen 1000 vor Christus und 500 nach Christus an Flussufern bis in die heutigen Bundesstaaten New York und Georgia erstreckten. Einige dieser Monumente waren größer als ägyptische Pyramiden, über 50 von ihnen hatten Tiergestalt, wie der bekannte »Great Serpent Mound« im südlichen Ohio, dem Zentrum der Adena-Kultur. Der 380 Meter lange, sechs Meter breite und 1,5 Meter hohe Mound stellt eine Schlange dar, die im Begriff ist, ein Ei zu verschlingen und war offensichtlich der Schauplatz zahlreicher Zeremonien, wie die rußgeschwärzten Steine vor Ort beweisen. Anscheinend unterschied man zwischen Mounds, die lediglich für religiöse Zeremonien genutzt wurden, und solchen, die als Begräbnisstätten dienten. Im Great Serpent Mound fanden die Archäologen keinen einzigen Menschenknochen, in anderen Mounds jedoch zahlreiche.
Die Vorfahren der Adena-Moundbuilders waren Nomaden, die aus Sibirien nach Amerika eingewandert waren und sich während der Eiszeit vor ungefähr 11 000 Jahren im Ohio Valley niedergelassen hatten. Damals reichten dichte Nadelwälder bis in die Tundra im Norden und boten Jägern und Sammlern reichlich Nahrung. Ihr Lebensraum erstreckte sich über die heutigen Staaten Ohio, Pennsylvania, West Virginia, Kentucky und Indiana und dehnte sich nach der Eiszeit, als die Gletscher rapide zurückwichen, noch weiter aus. Die Vegetation nahm zu, in den Flüssen und Seen mehrten sich die Fische, und in den Wäldern fanden die Einwohner reichlich Beute, vor allem Bären, Truthähne. Rotwild und Eichhörnchen. Sie folgten dem Wild, lebten in Hütten und fertigten einfache Holz- und Steinwerkzeuge an. Erst um 4000 vor Christus, als der Druck der nachfolgenden Einwanderer zu groß wurde, waren sie gezwungen, ihre Jagdgründe auf ein
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