Jeier, Thomas
Frau in der indianischen Gesellschaft zu zeigen?
Die Geburt eines Kindes war ein ebenso bedeutendes Ereignis wie die erste Menstruation oder die Hochzeit eines Mädchens. Meist standen der werdenden Mutter bei der Geburt andere Frauen zur Seite. Sie gaben der werdenden Mutter Rindentee zu trinken, um ihr die Geburt zu erleichtern. Die Nabelschnur wurde mit einem Feuerstein oder einer Pfeilspitze, später mit einem Messer durchschnitten, das Baby, in ein Fell gewickelt und in eine Wiege gelegt. Auf der Wanderschaft oder in den Jagdgründen von Feinden blieb einer Frau jedoch oftmals nichts anderes übrig, als ihr Kind unterwegs zur Welt zu bringen und gleich darauf weiterzuziehen, um nicht die Sicherheit des Stammes zu gefährden. Von Apachen-Frauen, die in der Wüste besonders widrige Bedingungen vorfanden, ist bekannt, dass sie vom Pferd stiegen, ein Kind gebaren und schon nach einer kurzen Pause weiterritten.
Sobald das Baby stark genug war und die Eltern sicher sein konnten, dass es überlebte, verschenkte der Vater sein bestes Pferd und anderen Besitz an bedürftige Stammesmitglieder, um die Bedeutung der Geburt zu unterstreichen. Bis zur Geburt eines zweiten Kindes ließen die Eltern der Plains meist sieben bis zehn Jahre verstreichen. Indem sie so lange wie möglich enthaltsam lebten, gewannen sie Anerkennung. Die Gefahr, dass ihr Nachwuchs als Einzelkind aufwuchs, bestand nicht. Alle Kinder wuchsen innerhalb des Dorfes und des Clans auf und hatten genug Spielkameraden.
Bis das Kind laufen konnte, nutzten die Mütter Rückentragen, die man bequem abstellen und somit das Kind leicht im Auge behalten konnte. Windeln waren aus Moos und weichem Gras. Die Erziehung begann im Kleinkindalter und oblag nicht nur den Eltern. Besonders Onkel, Tanten und Großeltern lebten den Kindern vor, wie sie sich als Erwachsene verhalten sollten. »Onkel« und »Großvater« waren respektvolle Anreden bei den meisten Stämmen und bezogen sich nicht im europäischen Sinne auf direkte Verwandte. Die Erziehung verlief tolerant, zu tolerant für die weißen Missionare, die schon im 18. Jahrhundert zu zahlreichen Stämmen kamen und den Indianern zu vermitteln versuchten, dass Kinder eine harte Hand bräuchten, wenn sie es im Leben zu etwas bringen wollten. In vielerlei Hinsicht hatten die verschiedenen Indianerstämme bereits Erziehungsmethoden, die in der heutigen zivilisierten Welt als »zivilisiert« und »fortschrittlich« gelobt werden. Anstatt mit Verboten und Strafen zu drohen, versuchten sie, ihnen Vorbild zu sein. Indianer liebten alle ihre Kinder, machten auch keinen Unterschied zwischen leiblichen und Kindern, die sie geraubt und in den Stamm aufgenommen hatten.
Über die besondere Rolle der Großmutter äußerte sich der Oglala-Krieger Luther Standing Bear: »Großmutter war, neben unserer Mutter, die wichtigste Frau in unserem Haus. Tatsächlich konnte kein anderer ihre Stellung einnehmen. Es wird erzählt, dass die Indianer sich ihrer alten Leute entledigten, wenn sie unnütz geworden waren. Falls dies der Fall bei anderen Stämmen ist, weiß ich nichts davon, aber ich weiß, dass wir Lakota das nie getan haben. Wir schätzen die alten Menschen wegen ihrer Weisheit und hielten sie niemals für wertlose Menschen, die man loswerden musste. Die Ehrfurcht vor den Eltern war groß, und die Alten wurden bis zu ihrem Tod geliebt und verehrt. Wir gaben ihnen niemals das Gefühl, unnütz und unerwünscht zu sein, weil es Pflichten gab, die nur von den Alten erfüllt wurden, und weil man die Jungen stets ermahnte, ihnen mit Respekt zu begegnen. Großmutter nahm einen Platz ein, den Mutter nicht ausfüllen konnte, und je älter sie wurde, desto mehr waren wir Kinder von ihrer Aufmerksamkeit abhängig. Ich werde niemals vergessen, wie wundervoll sich meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, um mich gekümmert hat. Als Geschichtenerzählerin erfreute sie mich und die anderen Kinder des Dorfes. Sie besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor und lachte genauso gern wie wir. Sie und Großvater waren unsere Lehrer. Wenn Großvater seine Lieder sang, ermutigte sie uns zu tanzen. Sie schlug den Takt auf der Trommel und brachte uns die Schritte bei. Selten ging sie ohne uns durch die Wälder und über die Ebenen. Diese Stunden waren sehr wertvoll für uns und erweiterten unser Wissen, denn fast immer waren ihre Worte oder ihre Handlungen mit der Weisheit des Lebens erfüllt.«
Die Frauen wussten mehr als die meisten Krieger über
Weitere Kostenlose Bücher