Jeier, Thomas
anband, waren Geschenke und sollten lediglich seine Hochachtung für das umworbene Mädchen ausdrücken. Bei den meisten Stämmen war es Sitte, seinen wertvollsten Besitz zu verschenken, wenn man eine besondere Leistung erbracht hatte oder sich über ein spezielles Ereignis freute. Die zukünftigen Schwiegereltern entschieden, ob ein Geschenk ausreichend war. Das größte Geschenk, das soweit bekannt ist jemals den Eltern einer Cheyenne-Braut überbracht wurde, kam von Beaver Claws, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Tochter von Elk River umwarb und seine Hochachtung zeigte, indem er allein auf den Kriegspfad zog, 70 Pferde stahl und sie vor dem Tipi der Schwiegereltern anband. Die Ehe verlief äußerst glücklich und währte ungefähr 60 Jahre.
Die Hochzeit bestand in der Regel aus einer einfachen Zeremonie. In den alten Zeiten führte eine Frau, die nicht zum Clan der Schwiegereltern gehören durfte, das Pferd mit der festlich gekleideten Braut zum Tipi der Eltern des Bräutigams, und einige Krieger hoben die Braut auf eine ausgebreitete Decke. Im Tipi bot ihnen die Mutter des Bräutigams ein festliches Essen an. Eine andere Zeremonie schrieb dem Bräutigam vor, sich mit der Braut in eine Decke zu hüllen, so wie es manche Cheyenne und Sioux während der Verlobung taten. Die Mutter der Braut errichtete das Tipi, alle Verwandten stellten den Hausrat zur Verfügung. Nach der Hochzeit bewies sich der Krieger als fähiger Ehemann, indem er auf die Jagd ging und schwer beladen mit Vorräten zurückkehrte.
Auch während der Ehe zeigte sich die besondere Stellung der Frau. Schaffte es ihr Ehemann nicht, sie ausreichend zu versorgen, behandelte er seine Frau schlecht oder erlosch ihre gegenseitige Zuneigung, stand es der Frau jederzeit frei, sich von ihrem Mann zu trennen, sehr zum Leidwesen der Missionare, die eine solche Haltung nicht dulden konnten. Pater Le Jeune schrieb über die Montagnais und Naskapi: »Die jungen Leute glauben nicht, dass sie mit einer schlechten Frau oder einem schlechten Mann in einer Ehe verharren können. Seitdem ich ihnen predige, dass ein Mann nicht mehr als eine Frau haben sollte, mögen mich die Frauen nicht mehr. Hier gibt es mehr Frauen als Männer. Dürfte ein Mann nur eine Frau heiraten, würden zahlreiche Frauen keinen Mann bekommen und sehr unter dieser Regelung leiden.«
Die Vielehe war allen Missionaren ein Dorn im Auge und wurde auch von den weißen Siedlern als heidnischer und unmoralischer Brauch verurteilt. Tatsächlich hatte dieser Brauch wenig mit Moral zu tun, sondern entsprang der dringenden Notwendigkeit, alle Frauen eines Stammes ausreichend zu versorgen. Indem ein Mann eine zweite und dritte Frau heiratete, stellte er ihr Überleben sicher. Solange die erste Frau die »Frau an seiner Seite« bleiben durfte, hatte auch sie nichts dagegen, dass weitere Frauen in ihr Tipi zogen und ihr bei der anstrengenden Arbeit halfen. Meist handelte es sich bei der Zweitfrau um die Schwester oder eine andere enge Verwandte der Ehefrau.
Die Frau als Lebensspenderin
Bei allen Stämmen wurde die Frau als »Lebensspenderin« verehrt. Wie die »Mutter Erde«, die alles Lebendige gebiert, schenkt sie dem Volk neues Leben. Sinnbild dafür waren ihre langen Haare. Sie symbolisierten den Fluss des Lebens, der ständig neues Leben hervorbringt und den heiligen Kreis geschlossen hält. »Sie beherrschen unsere Mutter Erde«, sagte ein Sachem um 1788 über die Frauen seines Irokesenstamms. »Wer schenkt uns das Leben? Wer kultiviert unsere Felder, entzündet unsere Feuer, kocht unsere Mahlzeiten?« Und der Sioux-Häuptling He Dog berichtete eine Anthropologin als 92-jähriger: »Während wir uns im besten Mannesalter befinden, müssen wir gut zu den Frauen sein, denn am Anfang und am Ende unseres Lebens sind wir auf ihren Schutz angewiesen.«
Die Frauen waren am Schöpfungsprozess beteiligt und standen mit den geheimnisvollen Mächten des Universums in direkter Verbindung. Anders als in der Bibel und in der jüdisch-christlichen Tradition, die Adam als Krone der Schöpfung und Eva als seine Untergebene sieht, ist die dominante Kraft in den Schöpfungsgeschichten der meisten Indianervölker eine Frau. Sie ist die Quelle des Lebens, der Ursprung allen Seins, die Personifizierung der übernatürlichen Mächte, die auf die Erde herabsteigt, um neues Leben zu gebären und bestehendes Leben zu schützen. Gibt es einen besseren Beweis als diese Creation Stories, um den hohen Stellenwert der
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