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Jeier, Thomas

Jeier, Thomas

Titel: Jeier, Thomas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ersten Amerikaner Die
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zu sein, welches keine festen Grenzen kannte. Das spirituelle Reich war mit der diesseitigen Welt verwoben, wie ein engmaschig geknüpfter Teppich, der keine vorherrschende Farbe kannte. Menschen und Tiere waren ebenso Teil davon wie Pflanzen, Flüsse oder Steine. Anders als bei den christlichen Religionen gab es keine Bibel und keine strenge Liturgie, jeder Stamm passte seine Zeremonien der Umgebung und den eigenen Bedürfnissen an, um der spirituellen Welt möglichst nahe sein zu können. In Legenden, Tänzen, Liedern und Ritualen blieb ihr Glaube lebendig, durch Schwitzen und Fasten reinigte man Körper und Seele, bevor man auf die Suche nach einer Vision ging und in Träumen eine andere Wahrheit erfuhr. Man brauchte keine Kirche, um dem »Großen Geheimnis« nahezukommen; »unsere Kirche«, so der Sioux-Indianer Ron Hawks, »Sind die weiten Ebenen und die dunklen Wälder. Dort sind wir Wakan tanka näher als irgendwo sonst.«
    »Unsere Zeremonien sollen nicht unterhalten, sondern unsere Welt ins Gleichgewicht bringen«, sagte ein Tewa-Indianer. Gebete, Lieder und Tänze waren die Essenz der indianischen Kulturen und hielten den Glauben der Völker lebendig. Man betete für eine gute Ernte oder eine erfolgreiche Jagd, man sang zu Ehren eines tapferen Kriegers oder weil die Sonne erneut am Himmel erschien, man tanzte, um den Atem der Erde zu spüren. »Wenn ich tanze, lebe ich«, sagte ein Spiritueller Führer der Sioux. Die kreisrunde Trommel symbolisierte die Erde, der Rhythmus war das Echo des menschlichen Herzschlags.
    Der indianische Glaube strebte nach Harmonie. Die Welt musste im Gleichgewicht sein, wenn man eine Zukunft haben wollte; nur in vollkommener Balance mit den geheimnisvollen Kräften der Natur konnte man überleben. Niemand durfte den Kreis des Lebens zerstören. Die Krieger entschuldigten sich bei jedem Tier, das sie getötet hatten, und man hütete sich davor, die Erde mit einem groben Pflug wie die weißen Bauern aufzureißen, sondern benutzte eine hölzerne Hacke, die weniger Schaden anrichtete.
    Das Göttliche war eine unsichtbare Macht, ein »Großes Geheimnis«, das »Orenda« bei den Irokesen, »Kitche Manitu« bei den Algonkin, »Wakan tanka« bei den Sioux, »Maheo« bei den Cheyenne und »Yusn« bei den Apachen hieß und in den Seelen von Menschen, Tieren und Dingen lebendig war. »Alles ist wakan«, sagen die Sioux, alles ist vom Großem Geheimnis durchdrungen.
    »Der Indianer betete gern«, schrieb der Sioux-Indianer Luther Standing Bear. »Von der Geburt bis zum Tod verehrte er alles, was ihn umgab. Er schätzte sich glücklich, im luxuriösen Leib der Mutter Erde geboren worden zu sein, und kein Platz war ihm zu bescheiden. Es gab nichts zwischen ihm und dem Allerheiligsten (Wakan tanka). Der Kontakt kam sofort zustande und war sehr persönlich. Wakan tankas Segen floss über den Indianer wie Regen, der vom Himmel fällt. Wakan tanka war niemals auf Distanz bedacht oder zu weit entfernt, und er war immer darum bemüht, die bösen Kräfte zu unterdrücken. Er bestrafte weder die Tiere noch die Vögel und auch nicht die Menschen. Er war kein strafender Gott. Denn es gab niemals einen Zweifel daran, dass er allem Bösen überlegen war und über allem Guten stand. Es gab nur eine Macht, die das Universum beherrschte, und die war ausnahmslos gut.«
    Zwischen indianischer Spiritualität und dem Christentum gab es Parallelen. Die wichtigsten Gebote der Bibel bestimmten auch das tägliche Miteinander indianischer Völker. Kein Sioux hätte jemals den Namen von Wakan tanka, kein Cheyenne jemals den Namen von Maheo missbraucht. Das christliche Gebot »Du sollst Vater und Mutter ehren« dehnten die Indianer sogar auf den Clan aus. Morde innerhalb eines Stammes waren höchst selten und wurden in der Regel mit Verbannung geahndet. Ehebruch wurde bei der Mehrzahl der Stämme bestraft. Apachen-Frauen wurde für einen Seitensprung die Nasenspitze abgeschnitten. Diebstahl war in Gemeinschaften, die ohnehin das meiste teilten, selten, man entwendete meist nur die Pferde der Feinde. Der Maler George Catlin, der während seiner Reise durch das Land der Indianer, ungefähr 50 unterschiedliche Stämme besuchte, schrieb in seinen Aufzeichnungen: »Ich mag ein Volk, das die Zehn Gebote beachtet, ohne sie jemals gelesen oder in einer Predigt gehört zu haben, das niemals den Namen seines Gottes missbraucht hat und das keine Feindschaft aus religiösen Gründen kennt.«

    Spirituelle Führer
    Nach

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