Jene Nacht im Fruehling
»Vielleicht liebte er sie wirklich. Sie könnte doch Docs Mätresse gewesen sein und gleichzeitig Michael Ransome geliebt haben. Oder vielleicht liebte sie alle beide.«
Mike gab ihr keine Antwort, während er das Kleid betrachtete und die Art, wie es im Licht changierte. »Hast du den Fleck auf dem Rock bemerkt?«
»Ja«, erwiderte Samantha leise, auf ihren Teller hinunterblickend. Sie hatte ihn bemerkt und instinktiv gewußt, wovon die Verfärbung herrührte.
Sich vom Tisch erhebend, nahm Mike das Kleid hoch und hielt es ins Licht. »Es ist Blut, nicht wahr? Sieht so aus, als habe jemand versucht, es herauszuwaschen, aber man kann Blut aus so einem Stoff nicht mehr entfernen.«
»Nein, zumindest nicht so viel Blut.«
»Ich frage mich, wessen Blut es war.«
»Deiner Schilderung von dem Massaker nach könnte es von mehreren Personen stammen.«
Mike hielt den Blick auf das Kleid gerichtet. »Doc sagte, Maxie habe sich in den hinteren Räumen des Klubs befunden, als Scalpinis Männer mit ihren Maschinenpistolen das Feuer eröffneten, und wäre nicht mehr in den Klubraum gekommen. Wenn das zu trifft, kann es nicht Onkel Mikes Blut sein, er hat die Tanzfläche kein einziges Mal verlassen. Er wurde dort niedergeschlagen und blieb dort liegen, bis die Sanitäter ihn fortschafften. Und Dave hat uns erzählt, daß er sich während der Schießerei in der Toilette aufgehalten habe.« Mike sah zu Samantha hin. »Ich werde das Kleid Blair bringen und von ihr das Blut analysieren lassen. Wenn wir die Blutgruppe wissen, können wir möglicherweise anhand der Krankenblätter der damals ins Krankenhaus eingelieferten Verletzten feststellen, zu wem es gehörte.«
Samantha stand auf und nahm ihm das Kleid weg. »Werden sie es zerschneiden?« fragte sie betrübt.
Mike wollte sie darauf hinweisen, daß sie die Hutschachtel monatelang ungeöffnet im Schrank hatte stehen lassen - sogar das Kleid gesehen und sich nicht die Mühe gemacht hatte, es herauszunehmen und zu betrachten -und jetzt ein Gesicht machte wie ein Kind, dem man seinen Teddybären wegnehmen wollte. Es lag ihm auf der Zunge, aber er sagte es nicht.
»Nein, sie werden nicht einmal ein Fädchen herausziehen. Aber ich denke, wir sollten es nicht aus den Augen lassen, bis wir es dokumentiert haben.«
»Dokumentiert? Ah - fotografiert haben, meinst du? Ich schätze, ich kann es solange für dich hochhalten. Oder wir könnten es auch mit Klebeband an der Wand befestigen.«
»Das wird nicht funktionieren«, meinte er stirnrunzelnd, als suchte er nach einer brauchbaren Lösung. »Ah -ich weiß, was wir machen könnten. Warum ziehst du es nicht an? Hättest du etwas dagegen? Die Sachen sehen doch so aus, als wären sie für dich maßgeschneidert.«
Vor ein paar Stunden noch hatte sie schon eine Gänsehaut bekommen, wenn sie nur daran dachte, daß sie den Inhalt einer alten Hutschachtel untersuchen sollte. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als in alten Kleidern zu kramen - außer vielleicht, sie auch noch anziehen zu müssen. Und wenn diese obendrein noch mit Blut besudelt waren, schien ihr dieses Ansinnen der Gipfel des Unzumutbaren zu sein.
Nun hatte sie sich freilich unter alten, muffelnden, mit Blut besudelten Sachen nicht unbedingt ein Pariser Modellkleid mit Brillanten und echten Perlen vorgestellt.
Und während sie vorsichtig mit den Fingern über die zarten Spitzen der pfirsichfarbenen Unterwäsche strich, meinte sie nachdenklich: »Wäre es denn hilfreich für deine Biographie, wenn ich diese Sachen tatsächlich anziehen würde?«
Mike mußte sich die Hand vor den Mund halten, damit sie sein Lächeln nicht sah. »Du würdest mir einen persönlichen Gefallen tun, wenn du sie tragen würdest. Nur für ein paar Minuten. Warum ziehst du sie jetzt nicht an, während ich die Kamera hole? Ich muß sie auf ein Stativ montieren, also kannst du dir ruhig etwas Zeit dafür nehmen.«
Er hatte den Satz noch nicht beendet, als Samantha bereits die Sachen vom Tisch nahm, sie in die alte Hutschachtel zurückwarf und sich mit dieser in Richtung Schlafzimmer entfernte.
Sobald sie dort angelangt war, entledigte sie sich rasch ihrer Kleider und zog Maxies Unterwäsche an. Die Seide auf ihrer Haut schien sie zu verwandeln. Samantha machte sich ein bißchen größer, hob das Kinn eine Idee höher, zog die Bauchmuskeln ein wenig strammer an und bewegte ihre Hüften gerade genug, daß sie eine Kostprobe davon bekam, wie sich gleitende Seide auf der Haut anfühlte.
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