Jene Nacht im Fruehling
Als sie sich in den ersten Wochen hier in New York oben in ihrer Wohnung eingeschlossen hatte, hatte sie sich immer die alten Blues angehört, die ihr Vater so sehr geliebt hatte. Als sie nun in Maxies Unterwäsche vor dem Spiegel stand, begann sie einen alten Schlager von Bessie Smith vor sich hin zu summen.
Als nächstes legte sie Maxies Strapsgürtel an. Dann setzte sie den Fuß auf einen Stuhl und begann ganz langsam einen Seidenstrumpf von den Zehen über die Ferse zum Schenkel hinaufzurollen. Als ihr rechtes Bein mit dem Seidenstrumpf bekleidet war, öffnete sie die eine Tür von Mikes Kleiderschrank, die innen mit einem Spiegel verkleidet war, stellte sich davor und prüfte, ob die Naht an der Rückseite des Strumpfes auch richtig saß. Dann stellte sie den Stuhl vor den Spiegel und beobachtete sich dabei, wie sie langsam den zweiten Seidenstrumpf über ihr linkes Bein hinaufstreifte. Pfirsichfarbener Seidenbüstenhalter, seidenes Unterhöschen, seidene lange Strümpfe, nackter Schenkel zwischen Seide und Seide.
Woher kam es, daß Seidenstrümpfe mit Strapsgürtel so unglaublich sexy zu sein schienen? fragte sich Samantha während sie sich von allen Seiten in dem großen Spiegel betrachtete. Ihr gefiel, was sie dort sah. Strumpfhosen aus Nylon fühlten sich überhaupt nicht sexy an, sie gaben ihr eher das Gefühl, als wäre sie von den Zehen bis zur Taille in eine Wurstpelle eingezwängt. Aber mit ein paar Zentimetern nackter Haut zwischen Strumpf und Strapsgürtel kam sie sich verführerisch vor wie ein Vamp, der in einem Harlemer Nachtklub sang und jeden Abend scharenweise hübsche junge Männer in das Lokal lockte.
Im Badezimmer betrachtete sie sich dann im Rasierspiegel und fand, daß ihr Gesicht zu sauber, viel zu sehr nach der jungen Dame aus dem Kirchenchor aussah und ihre Frisur zu modern war, zu flauschig und flockig von dem Haarspray.
Sie drehte den Wasserhahn auf, machte einen Kamm naß und zog ihn durch ihr Haar. Und da sie nun schon mal damit angefangen hatte, konnte sie nicht mittendrin aufhören, sondern mußte schon ganze Arbeit leisten. Also machte sie ihr Haar vollkommen naß, so daß es am Kopf anlag, scheitelte es auf der linken Seite, formte es zu Ringellocken vor den Ohren und konservierte das Ganze dann mit Haarspray. Sie benützte ihren dunkelsten Lidstrich, um die Augenränder nachzuziehen, und zog dann einen scharfen Strich durch die Brauen, um sie besonders zu betonen. Dann versuchte sie, ihren Mund in eine Herzform zu bringen, wie sie das auf Fotos von Clara Bow gesehen hatte.
Von dem Spiegel zurücktretend, studierte sie das Ergebnis und nickte. In ihrer Phantasie war sie fast schon Maxie, die sich auf ihren Auftritt vorbereitete - und auf die beiden Männer, die sie dort draußen erwarteten: ihren Liebhaber und den Mann, der ihr diamantene Ohrringe gekauft hatte.
Nachdem sie das rote Seidenkleid über den Kopf gestreift und mit kleinen schlängelnden Bewegungen ihrer Schultern und Hüften dafür gesorgt hatte, daß es richtig saß, starrte sie sich im Spiegel an. »Maxie«, flüsterte sie, weil sie jetzt eine ganz andere Frau aus dem Spiegel anblickte - eine Frau, die sich sicher war, die Aufmerksamkeit aller Männer auf sich zu ziehen. Als sie noch die Schuhe angezogen und die Riemchen befestigt hatte, stellte sie den Fuß auf den Badeschemel und fuhr mit der Hand langsam über ihr Bein bis zum Schenkel hinauf.
»Sam!« brüllte Mike draußen, »wann bist du denn endlich soweit!«
»Werd’ nicht gleich ungeduldig, Junge - es lohnt sich, auf dieses Baby zu warten!« rief sie zurück. Dann befestigte sie Doc’s Ohrringe an ihren Ohrläppchen, schob die diamantenen Armbänder über die Handgelenke und wickelte sich die Perlenkette zweimal um den Hals.
Als sie schon im Begriff stand, das Schlafzimmer zu verlassen, streifte ihr Blick die zwei balinesischen Puppen, die auf Mikes Kommode standen. Eine von ihnen hielt einen ungefähr dreißig Zentimeter langen geschnitzten Stock in der Hand. Vorsichtig schraubte sie den Stock aus seiner Halterung heraus und benützte dann die weiße Korrekturflüssigkeit, die Mike beim Tippen benützte und von der er hier im Schlafzimmer einen Vorrat hatte, um das Ende des Stöckchens weiß einzufärben. Nun hatte sie eine recht brauchbare Attrappe einer langen Zigarettenspitze, die mit einer brennenden Zigarette versehen war, steckte diese nun zwischen ihre karmesinroten, herzförmig geschminkten Lippen. Dann öffnete sie die Schlafzimmertür
Weitere Kostenlose Bücher