Jene Nacht im Fruehling
damals befürchtet haben, daß Sam sofort annehmen würde, er hätte mich eigens nach Louisville kommen lassen, um mich in seinem Haus mit ihr bekannt zu machen. Und ich denke, das war auch einer der Gründe, warum sie mich anfangs so feindselig behandelte, als sie nach New York zog: Ihr Vater hatte diesen Umzug arrangiert, und er hatte schon einmal eine sehr schlechte Wahl für sie getroffen.«
Maxie lächelte ihn schelmisch an. »Aber beim zweiten Mal ist seine Wahl nicht ganz so schlecht ausgefallen, wie?«
Mike erwiderte ihr Lächeln nicht. »Aber Dave hätte fast einen schlimmen Fehler gemacht; denn in den ersten vier Wochen kümmerte ich mich kaum um sie und ließ sie in ihren vier Wänden allein. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn meine Freundin Daphne mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, daß Sam. .. nun . ..« Er holte tief Luft. »Daß sie dicht vor einem Selbstmord stand.«
Maxie drückte ihm die Hand. »Aber sie haben die verlorene Zeit inzwischen ja wieder gutgemacht.« Und dann fuhr sie schalkhaft fort: »Und wie fühlen Sie sich jetzt? Wie ein Held und Retter, der eine große, selbstlose Tat vollbracht hat?«
Da mußte Mike so laut lachen, daß Samantha sich unruhig im Schlaf bewegte.
»Ich kam mir anfangs wie ein Märtyrer vor. Da half ich ihr nun, rettete sie vor sich selbst, und dieses undankbare Wesen wollte nicht einmal mit mir ins Bett gehen, um sich dafür erkenntlich zu zeigen.«
Maxie lachte. »Aber Sie haben, wie mir scheint, dieses Problem inzwischen gelöst, wie?«
»Sam hat das getan. Sie war es, die mir die Augen geöffnet und mich zu der Einsicht gebracht hat, wie leer und öde mein Dasein in den letzten Jahren eigentlich gewesen ist. Für Sam ist jeder Tag ein neues, wunderbares Geschenk. Sie sollten sie einmal erleben, wenn sie zum Einkaufen geht. Sie kann sich an den alltäglichsten Dingen erfreuen, als würde sie einen neuen Planeten entdecken. Aber ich vermute, daß keiner, der so viel durchgemacht hat wie sie, die schönen Dinge des Lebens für selbstverständlich hält.«
Er streichelte sacht Samanthas Wange. »Und Sie hätten Sam auf dem Picknick erleben müssen, das meine Familie im Central Park veranstaltete. Sie paßte sich so gut an und verstand sich so prächtig mit allen, als wäre sie in ihrer Mitte aufgewachsen. Die Kinder rissen sich förmlich um sie. Kinder haben ein sehr waches Gespür dafür, ob Erwachsene sie mögen. Sie und meine kleine Schwester konnten sich kaum retten vor den Fratzen.«
Mike trat zurück und betrachtete das Bild einer unglaublich idyllischen Landschaft an der Wand. »Hat Sam Ihnen von dem Picknick erzählt?« fragte er beiläufig.
»Sie erwähnte es. Es schien ihr sehr gefallen zu haben.« Selbst wenn Samantha ihr eine minutiöse Beschreibung von den Ereignissen auf diesem Picknick gegeben hätte, würde Maxie ihm das nicht gesagt haben; denn sie konnte Mike ansehen, daß er etwas auf dem Herzen hatte, was er ihr beichten wollte. Und sie hätte gern gewußt, was es war.
»Ich war wütend auf meine Mutter, weil sie dieses Picknick arrangiert hatte, denn ich wußte - was Sam natürlich nicht ahnte daß man Samantha auf die Probe stellen wollte. Hat Sam Ihnen erzählt, daß ich einen Zwillingsbruder habe?«
»Nein.«
Mike blickte über die Schulter auf Maxie zurück und grinste. »Sie hat es Ihnen nicht erzählt, weil es für sie keine Bedeutung hat.« Er hielt einen Moment nachdenklich inne. »So vieles, was für andere Leute so wichtig an mir zu sein scheint - man könnte fast sagen, was für sie meinen Wert ausmachte -, ist für Sam offenbar ohne Bedeutung. Mein Geld gehört dazu und die Tatsache, daß ich gewissermaßen nur die Hälfte eines Paares bin. Ich finde es zwar großartig, einen Bruder zu haben, der einem bis aufs Haar gleicht, doch manchmal bekomme ich auch Minderwertigkeitskomplexe, weil ich das Gefühl habe, daß es mir nicht wie anderen Menschen vergönnt ist, etwas Einmaliges zu sein, sondern nur die Hälfte eines Ganzen. Ein nicht unwesentlicher Grund für meinen Umzug nach New York ist mein Widerwille gewesen, noch länger in einer Kleinstadt zu leben, wo mich sogar meine eigenen Verwandten ständig fragten, ob ich nun ich oder mein Zwillingsbruder sei.«
Er schwieg einen Moment und fuhr nachdenklich mit der Hand über die Platte eines antiken Kirschholztisches. »Es gibt eine Redensart in meiner Familie - eine dumme, lächerliche Redensart, von der ich nicht weiß, wer sie in die Welt gesetzt hat -,
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