Jene Nacht im Fruehling
indem man alles, was in jener Nacht passiert ist, ans Tageslicht bringt. Dann hat dieser Spuk ein Ende.«
Samantha setzte sich Mike und Kane gegenüber an den Frühstückstisch und sah zwischen ihnen hin und her. Wenn Mike davon redete, daß er etwas ans Tageslicht bringen wollte, verheimlichte er bestimmt etwas vor ihr. »Heraus damit. Sagt mir, was ihr vorhabt - und daß ihr mir auch nichts verschweigt!«
Da redeten sie beide gleichzeitig, sich gegenseitig ins Wort fallend: »Frank hat Jubilees Nachtklub gekauft. Jeanne sucht bereits die Möbel für seine Einrichtung zusammen. Dad hat sich bereit erklärt, die Gangster anzuführen. Vicky opfert ihren Urlaub für die Kostüme. Mom will sich um das Essen kümmern. H.H. übernimmt die Rolle seines Großvaters. Ornette leitet das Orchester, und du wirst für ihn singen ...«
Es war an dieser Stelle, wo Sam die Hand hob und um eine Erklärung bat. Interessanterweise war es Kane, der diese Aufgabe übernahm; denn sie konnte in Mikes Augen lesen, daß er Angst hatte, wie sie seine Idee aufnehmen würde.
Kane, der offenbar inzwischen von Mike in alles eingeweiht worden war, was er über Doc und Maxie wußte, erklärte ihr nun, daß alle Hauptakteure des Dramas sie belogen: »Jubilee wird dir nicht sagen, was er weiß; H.H. wird dir nicht sagen wollen, was er weiß; Maxie fürchtet zu sehr um dein Leben, als daß sie dir alles sagen würde; und Doc hat dir zwar alles erzählt, aber dem kann man nichts glauben.«
Was Mike sich nun ausgedacht hatte, war eine Methode, dieses Rätsel zu lösen: Er, seine Familie und sie, Sam, würden die Ereignisse am Abend des zwölften Mai 1928 rekonstruieren. Sie würden Jubilees Nachtklub restaurieren, ihn wieder genauso einrichten wie damals und dann die Ereignisse jenes Abends dort noch einmal abrollen lassen - »originalgetreu bis hinunter zu den Maschinenpistolen, et cetera.«
Nach seiner Einführung lehnte Kane sich im Stuhl zurück und überließ es seinem Zwillingsbruder, Sam den Sinn seiner Idee zu erläutern.
Mike hatte sich gestern abend mit ihm ausführlich über Sam unterhalten. Er hatte ihm erzählt, was für ein braves Mädchen sie nach dem Tod ihrer Mutter gewesen war, das es allen recht machen, keinen um Hilfe bitten wollte und deshalb auch von niemandem Hilfe bekommen hatte.
Und wie Sam alles getan hatte, um ihren Vater zufriedenzustellen - sogar den Mann geheiratet hatte, den ihr Vater für sie aussuchte, obwohl sie diesen Mann, wie sie inzwischen wußte, nie wirklich gemocht hatte. Und wie sie sich dennoch bemüht hatte, auch diesen Mann zufriedenzustellen und dann auf sich selbst, statt auf ihn, wütend geworden waren, als ihr das nicht gelingen wollte.
Nun erzählte Mike ihr, daß er die Ereignisse jener Nacht wiederholen lassen wollte, damit er endlich seine Biographie zu Ende schreiben konnte. In Wahrheit jedoch sollte das Ganze eine Schocktherapie für Samantha werden. Er hoffte, sie damit von ihren Schuldkomplexen befreien und diese Sperre in ihrem Unterbewußtsein durchbrechen zu können, die sie daran hinderte, sich ihren Schmerz und ihren Kummer von der Seele zu weinen. Und daß sie endlich ihre Wut über das, was man ihr angetan hatte, hinausschreien konnte.
Nachdem Mike ihm gestern erzählt hatte, was mit Sams Mutter passiert war, hatte er Kane Sams Reaktionen auf diese schrecklichen Enthüllungen beschrieben - daß sie sich tagelang zurückzog und danach so tat, als wäre gar nichts geschehen. Und daß Samanthas Leben bisher eine endlose Kette von Katastrophen gewesen sei - eine Kette, die inzwischen so lang war, daß die meisten Menschen daran zugrunde gegangen wären. Aber nicht so Samantha, die diese Katastrophen nicht nur überstanden, sondern sogar weggesteckt hatte wie einen harmlosen Schnupfen, nach dem man sich wieder den täglichen Aufgaben des Lebens widmet. Mike hatte Kane gesagt, wenn es nur seine Absicht wäre, herauszufinden, was in jener Nacht geschehen war, könnte ihm Maxie vermutlich alles darüber erzählen. Aber Sam würde, befürchtete Mike, artig in einem dieser Kostüme, auf die sie so stolz war, neben ihm sitzen und, nachdem sie sich wieder eine dieser furchtbaren Leidensgeschichten angehört hatte, aufstehen und sagen: >Wo wollen wir heute abend zum Dinner hingehen, Mike?<
Denn wenn die Dinge, die sie hörte, auch noch so schlimm waren: Sam würde alles, ihre Gefühle unterdrückend, in sich hineinfressen, sich nicht anmerken lassen, was sie dabei empfand, und so tun, als
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