Jene Nacht im Fruehling
anschließend auf dem Teppich im Wohnzimmer und schließlich auf der Couch in der Bibliothek. Sie hatten beide das Gefühl, als hätten sie sich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, und in seinem Überschwang stellte Mike allerlei Verrenkungen mit Sams Gliedern an, als er neue Positionen mit ihr ausprobierte, denen Samantha jedoch mühelos gewachsen war, weil sie nicht umsonst jahrelang Aerobic in Santa Fe unterrichtet hatte. Sie schliefen dann auf dem Boden des Frühstückszimmers ein und wachten in den frühen Morgenstunden mit schmerzenden Gliedern auf, worauf Mike mit einem Gähnen erklärte, sie sollten jetzt in ihr Bett gehen. Samantha jedoch meinte, ein heißes Bad mit einer gründlichen Reinigung aller Spalten und Nischen täte ihr jetzt gut. Da hob Mike sie grinsend vom Boden auf und trug sie hinauf ins Badezimmer.
*
Gesangsproben mit Ornette Johnson sind die reinste Hölle, dachte Samantha bei sich. So ein engstirniger Typ wie Ornette war ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht begegnet, und als sie ihm das auch ins Gesicht sagte - nachdem er ihr zum vierten Mal in drei Stunden erklärt hatte, sie sei viel zu weiß, um Blues singen zu können -, wurde es ganz still im Raum. Denn nach Ornettes Meinung konnten nur Weiße engstirnig sein, was Samantha wiederum so idiotisch fand, daß sie in Wut geriet.
Als Mike in den Aufenthaltsraum des Pflegeheims kam, stand Samantha auf einem Stuhl und brüllte Ornette in sein hübsches Gesicht, was sie von ihm hielt, und Ornette brüllte zurück. Maxie und Jubilee saßen ein paar Schritte von den beiden entfernt und hörten ihnen andächtig zu.
»Wer gewinnt?« fragte Mike, sich neben Maxie auf die Bank setzend.
»Ich würde sagen, es steht unentschieden - nicht wahr, Jube?«
»Unentschieden, ja. Trotzdem glaube ich, daß Ornette endlich seinen Meister gefunden hat.«
Da beugte sich Mike zu den beiden hinüber und teilte ihnen mit leiser Stimme mit, ein Schallplattenproduzent habe ihm zugesagt, an dem Abend, an dem Ornette spielen würde, in Jubilees Nachtklub zu kommen. »Egal, was daraus wird - er wird ihn sich wenigstens anhören.«
Jubilee nickte und stieß Maxie lächelnd mit dem Ellenbogen an, um ihr zu sagen, daß Samantha Ornette gerade einen Rassisten genannt habe und sie die Show weiterverfolgen sollten, wie das auch die anderen Insassen des Pflegeheims taten, die im Aufenthaltsraum versammelt waren.
*
Eines Morgens - zwei Tage vor der Vorstellung - wurde es Samantha so übel, daß sie sich übergeben mußte. »Es sind die Nerven«, erklärte sie Mike, als er ihr einen nassen Waschlappen reichte. Wie er das schon einmal getan hatte, hielt er ihren Kopf über die Kloschüssel, während sie ihren Magen darin entleerte, und empfahl ihr dann mit einem hinterhältigen Lächeln, mit ihm zu frühstücken, worauf Samantha abermals im Badezimmer verschwand.
So gegen zehn Uhr fühlte sie sich dann besser, aß eine Scheibe Toast, trank ein Glas Orangensaft und schluckte die Vitaminpillen, die Mike ihr gab. Dann erkundigte sie sich mit einem boshaften Grinsen, ob er denn schon den Charleston beherrschte. Sie hatte ihn vier Tage lang mit Fragen löchern müssen, ehe er ihr, mit des Leidensmiene eines Märtyrers, verraten hatte, wie er sich auf die Rolle als Michael Ransome vorbereitete: Er nahm Einzelunterricht in einer Tanzschule.
Um elf Uhr fuhr Mike mit Sam zu Maxie und mußte dort drei Stunden lang auf dem Flur warten, während Maxie in ihrem Zimmer Sam alles erzählte, was sich ihres Wissens nach in der Nacht des 12. Mai 1928 in Jubilees Nachtklub abgespielt hatte. Als Samantha wieder aus ihrem Zimmer kam, war ihr Gesicht schneeweiß.
»Hast du es herausgefunden?« fragte Mike, ihre Hand nehmend.
»Ja«, antwortete sie, »das meiste, aber nicht alles.« Sie sah Mike an, und ihr Mund wurde zu einem dünnen Strich. »Dieser korrupte alte Mann«, sagte sie, und Mike wußte, daß sie Doc damit meinte. Er wußte auch, daß Sam ihn am liebsten verflucht hätte. Doch was sie wirklich für diesen Mann empfand, hätte sie mit Worten nicht beschreiben können.
Alle Vorbereitungen waren bisher so unglaublich reibungslos verlaufen, daß irgend etwas schiefgehen mußte, was dann auch einen Tag vor der Vorstellung passierte. Morgens um halb neun, nachdem Samantha sich zum drittenmal übergeben hatte, rief Kane an und sagte, daß einer seiner Zwillinge erkrankt sei. Er versicherte zwar, es wäre nichts Ernsthaftes, aber Samantha konnte die Sorge aus seiner Stimme
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