Jene Nacht im Fruehling
Mann schien nicht ihr Mike, sondern Michael Ransome zu sein. Dieser Mike bewegte sich in seinem herrlichen, maßgeschneiderten Frack, als wollte er aus seinem guten Aussehen Kapital schlagen.
Samantha beobachtete, wie Mike nun auf eine Tussie zuging - eines dieser Party-Mädchen, das ihrem Namen hundertprozentig gerecht wurde: zuviel Make-up, zu törichte Bewegungen, so laut kichernd, daß man es bis nach Coney Island hören konnte, und mit einem für ihren Geschmack zu großen Busen. Mit einem kleinen entzückten Schrei stand die Frau auf - vielmehr schlängelte sie sich, ihre üppigen Brüste in Schwingungen versetzend, in die Höhe. Ehe Mike die Hand nahm, die sie ihm hinstreckte, blickte er den Mann, der an dem kleinen Tisch der Frau gegenübersaß, fragend an. Der Mann hatte einen in eine geschmacklos gelb-schwarz karierte Weste eingezwängten Schmerbauch, über den er nun mit angezogenem Kinn hinwegsah und gnädig nickte, als wäre er ein König, der seinem Untertan eine Gnade erwies. Samantha mußte sich jedesmal von neuem wundem, daß sich ein Mensch einem anderen überlegen fühlte, nur weil sie oder er ein Krimineller war - als habe er etwas Bedeutendes im Leben geleistet.
Die Frau auf die silberne Tanzfläche geleitend - die schummrige Beleuchtung sorgte dafür, daß selbst eine Hexe gut ausgesehen hätte -, nahm Mike die Frau in seine Arme und begann mit ihr einen Tango zu tanzen. Erschrocken hielt Samantha einen Moment den Atem an; Sie hatte Mike soeben wieder bei einer Lüge ertappt. Er hatte zu ihr gesagt, er wäre ein Stümper auf dem Parkett, wenn Figuren von ihm verlangt würden, bei denen er sich nicht an das Mädchen hängen und die Wange an ihrem Gesicht reiben dürfte, aber als sie ihn nun mit dieser Tussie über das Parkett hingleiten sah, wußte sie, daß er ein Traum von einem Tänzer war. Mit der Muskelkraft, die ihm zur Verfügung stand, konnte er seine Partnerin mühelos herumschwingen, wenn sie eine Drehung machen mußte. Mike brachte es sogar fertig, das Flittchen, das er in seinen Armen hielt, so aussehen zu lassen, als könnte es tanzen.
Als die Kapelle eine Pause machte, brachte Mike das Mädchen zu seinem Gangster zurück, und nachdem er diesen wieder mit einem fragenden Blick um Erlaubnis gebeten hatte, küßte er der Schlampe sogar die Hand.
»He, Kid!« sagte der Gangster und forderte dann Mike mit einer großspurigen Handbewegung auf, zu ihm zu kommen.
Mike, der sich nicht anmerken ließ, wie sehr ihn das Benehmen des Gangsters erbittern mußte, ging nahe an den Mann heran, der ihm eine Zehn-Dollar-Note in die Jackentasche stopfte.
Samantha mußte sich gewaltig zusammennehmen, jetzt nicht in den Saal hinauszustürmen und diesen Typ zur Rede zu stellen, wie er, ein Nichts, ein Niemand, der sich mit illegalen Geschäften einen fragwürdigen Ruf verschafft hatte, es wagen konnte, ihren Mike so zu behandeln!
»Bist du soweit?«
Erschrocken drehte sich Samantha um und sah Vicky in einem herrlichen langen Kleid aus blauem Satin und weißen Federn, die sich über dem dreifachen Stirnband aus funkelnden und zweifellos echten Diamanten leise im Luftzug auf ihrem Hinterkopf bewegten, vor sich stehen.
»Ja, ich bin bereit«, sagte sie leise.
Sie folgte Vicky hinter die Bühne zu den Garderoberäumen, und mit jedem Schritt, den sie machte, wußte Samantha, daß sie nun den Kontakt mit der Wirklichkeit verlor. Als Vicky die Tür zur Garderobe öffnete, war Samantha überzeugt, sich nicht mehr in der Welt der neunziger Jahre zu befinden. Daphne und die anderen Frauen befanden sich in den verschiedensten Stadien des Aus-und Umkleidens. Kleider lagen auf dem Boden verstreut, und auf einem langen Tisch vor einem grell beleuchteten Wandspiegel standen unzählige kleine schmutzige Flaschen und Schminktöpfe.
»Lila?« flüsterte Samantha.
»Ja, Schatz?« sagte Daphne/Lila, drehte sich um und musterte Sam von Kopf bis Fuß. »Es wird Zeit, daß du dich umziehst. Sonst versäumst du noch deinen Auftritt.« Sich vorbeugend, flüsterte Lila ihr ins Ohr: »Du willst doch Mike nicht an deinem letzten Abend im Klub enttäuschen, nicht wahr, Schatz?«
Samantha atmete heftig die Luft ein, als hätte sie soeben einen Schlag in den Magen bekommen; denn Lila hätte eigentlich nicht wissen dürfen, daß Maxie heute zum letzten Mal in Jubilees Klub singen würde.
Über die Schulter zu den anderen Mädchen hinsehend, flüsterte Lila: »Mach dir keine Sorgen, Schatz. Keiner von ihnen wird es ihm
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