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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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alt war, aber er konnte unter ihrem schon seit langem nicht mehr gewaschenen Haar und unter der billigen Schminke erkennen, daß sie Klasse hatte - und einen Verstand. Sie hatte nicht diesen stumpfsinnigen Karnickelblick wie die meisten Mädchen, die sich mit sechzehn als Cocktail-Serviererinnen einstellen ließen und es mit sechzig immer noch sein würden, wenn sie nicht schon vorher an irgendeiner Geschlechtskrankheit gestorben waren.
    »Okay, Kleine, du bekommst den Job«, sagte er. »Aber wenn sich einer beschwert, fliegst du, okay?«
    Die Kleine sah ihn mit so dankbaren Augen an, daß Willie nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte, in seine Tasche griff und eine Zwanzig-Dollar-Note hervorholte. »Hier hast du einen Vorschuß. Kauf dir was zu essen und etwas Vernünftiges zum Anziehen, okay?«
    Was Abby in diesem Augenblick empfand, konnte sie nicht mit Worten ausdrücken und so sah sie den Mann nur stumm an und dann auf den Schein in ihrer Hand.
    »Nun geh schon. Verschwinde. Und komm morgen abend um sieben wieder.«
    Als Abby am nächsten Abend wiederkam, wußte Willie, daß er den besten Fang seines Lebens gemacht hatte; denn dieses Mädchen hatte Geschmack. Sie war so schlicht und elegant gekleidet wie eine junge Dame auf einem Foto in einem Frauenmagazin - und als er sie so vor sich stehen sah, wußte er, daß sein Leben sich verändern würde.
    Binnen zweier Jahre verwandelte sich seine billige Bar und Absteige in ein Lokal, in dem sich auch achtbare junge Damen und Herren sehen lassen konnten, ohne ihrem Ruf zu schaden. Abby, die keinen sehnlicheren Wunsch gehabt hatte, als sich anständig durchs Leben zu bringen und Verantwortung zu übernehmen, war mit der Leitung der Geschäfte betraut worden, hatte die Bar neu dekoriert, die Serviererinnen anders eingekleidet, einen Verhaltenskodex für die Angestellten eingeführt und Willies Buchführung übernommen. Am Ende des dritten Jahres trug Willie maßgeschneiderte Anzüge, und seine Krawatte wurde von einer goldenen Nadel mit einem dreikarätigen Diamanten zusammengehalten.
    1924, mit siebzehn, lernte Abby dann in Willies Lokal diesen vielversprechenden jungen Gangster mit dem schlichten Namen Doc kennen und wußte auf den ersten Blick, daß ihr hier ein Mensch begegnet war, der genauso ehrgeizig war wie sie.
    Doc war klein und auf eine Weise unterentwickelt, die nur auf eine mangelhafte Ernährung in seinen Kinderjahren zurückgeführt werden konnte, hatte eine lange Messernarbe am Hals, die auf eine alte, lebensbedrohliche Verletzung hindeutete, und seine Augen standen keinen Moment still. Tatsächlich stand nichts an ihm auch nur eine Sekunde lang still, sondern er war ununterbrochen in Bewegung, schaute sich alle Augenblicke um, spielte dauernd mit einer Kugel, die an einer Kette an seiner Weste befestigt war, und wenn er ging, zog er ein Bein ein bißchen nach.
    Und dieser kleine Mann war in Begleitung eines großen, sehr kräftigen, etwas dümmlich aussehenden Mannes, der ihm wie ein Schatten überallhin folgte - sogar aufs Klo - und immer erst von allem kostete, was man Doc vorsetzte, ehe dieser es trinken oder essen durfte.
    Nach dem ersten Besuch von Doc in ihrem Klub beschloß Abby, jetzt für sich selbst zu sorgen. Das hatte sie nicht mehr getan, seit sie zur Gastgeberin/Managerin aufgerückt war. Denn da war etwas an diesem Mann mit diesem leicht hinkenden Gang und dem nervösen Blick, das ihr das Gefühl gab, daß sie verwandte Seelen wären. Sie hatten beide in ihrem kurzen Leben eine Menge durchgemacht und irgendwo auf diesem Weg die Fähigkeit verloren, so zu empfinden, wie das andere Menschen offensichtlich konnten.
    Sechs Monate lang besuchte Doc nun den Klub, ohne in dieser Zeit auch nur ein Wort mit Abby zu wechseln, aber am Ende dieses halben Jahres kam dann Half Hand zu ihr und sagte, Doc wollte mit ihr in seinem Wagen reden.
    Abby nahm sich ein paar Minuten Zeit, um sich zu überlegen, ob sie zu ihm hinausgehen sollte oder nicht, denn sie ahnte, was Doc von ihr wollte. Er würde sie fragen, ob sie seine Mätresse werden wollte. Einerseits gefiel ihr der Gedanke, von einem Gangster beschützt zu werden. Gangster machten in der Regel ihren Frauen teure Geschenke, die sie dann versilbern und dafür verwenden konnten, sich eines Tages ihre eigene Bar zu kaufen. Auch schienen Gangster keine hohe Lebenserwartung zu haben, was ihr, soweit es Männer betraf, ein großer Vorteil zu sein schien. Was sie nicht mochte, war der Gedanke an Sex

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