Jene Nacht im Fruehling
»Mike, es darf uns keiner zusammen sehen!«
Zärtlich legte er die Hände auf ihre Wangen und küßte sie sacht. »Wie geht es dem Kleinen?«
»Sie ist gesund«, erwiderte sie«, sicher und glücklich -wie ihre Mutter.«
Er küßte sie abermals. »Wie sein alter Herr.«
Leise lachten sie beide darüber, daß sie bei dem Kind, das sie unter dem Herzen trug, von einem Mädchen sprach und er von einem Jungen.
Alle Kraft aufbietend, die sie noch besaß, drückte Maxie ihn von sich weg. »Noch drei Stunden«, sagte sie, »in exakt drei Stunden werden wir von hier fort sein.« Plötzlich hatte sie Angst, denn es schien ihr so, als habe bisher jeder in ihrem Leben sie verlassene: »Mike, du bist doch ... ich meine . . .«
Mike legte ihr den Zeigefinger auf den Mund. »Ob ich mit deinen Gefühlen gespielt habe, meinst du? Ob ich dich geschwängert habe und dich nun verlassen möchte, damit du mein Kind allein aufziehen kannst? Die Antwort ist ja. Ich möchte den Rest meines Lebens damit verbringen, hirnlose Frauen auf dem Tanzparkett spazierenzuführen, mich mit Gangstern zu unterhalten und mit ihnen so interessante Gespräche zu führen wie: >He, Big Nose, wieviel Leute hast du denn heute umgebracht? Nur drei? Ich habe vier umgelegt. Du schuldest mir zehn Piepen !<«
Maxie kicherte. »Mike, du bist schrecklich. Nun verschwinde von hier, ehe uns jemand zusammen erwischt.«
Nach einem letzten langen Kuß ließ er sie auf dem Korridor zurück, um sich wieder auf die Tanzfläche zu begeben, während Maxie in die dunkle Garderobe hineinschlüpfte, um ihr Haar noch einmal zu richten und ihr Make-up nachzubessern, ehe sie wieder auftreten mußte.
Eine Lippenstifthülse in der Hand, blickte sie in den Spiegel und mochte zuerst gar nicht glauben, was sie da sah. Ein kleiner, ungefähr neun Jahre alter Junge, dem die Tränen über das Gesicht liefen, stand dort unter der Tür.
Maxie drehte sich zu ihm um. »Was hast du denn?« Da sprach nicht nur Anteilnahme aus ihrer Stimme, sondern auch Angst. An einem Ort, der von Männern wie Doc bevölkert war, hatte man immer Angst.
»Jemand hat meinen Vater erschossen«, sagte das Kind leise.
Mit weit aufgerissenen Augen, ohne ein Wort zu sagen, stand Maxie vom Schminktisch auf, ging zu dem Kind und streckte ihm ihre Hand hin. Der Junge nahm sie und führte sie in Jubilees Büro.
Zuerst sah Maxie den Mann gar nicht, der da auf dem Boden lag, denn er war teilweise vom Schreibtisch und einer halboffenen Schranktür verdeckt. Es war Half Hand Joe - der Mann, der Doc überallhin zu folgen pflegte. Als Maxie ihn dort entdeckte und mit Entsetzen den Einschuß an seiner Schläfe sah - ein fast blutloses, sauberes Loch am Rand der Stirn, die bereits eine Reihe von Narben aufwies -, hielt sie ihn für tot. Aber dann begannen Joes Lider zu flattern.
Sich neben ihn knieend, nahm sie vorsichtig seinen Kopf in ihren Schoß.
»Joe«, flüsterte sie, ihm behutsam die Haare aus der Stirn streichend. Sie spürte, wie das Blut aus der Wunde an seinem Hinterkopf sickerte.
Joe öffnete die Augen und sah sie an. Dann ging sein Blick zu seinem Sohn, der bei seinen Füßen stand und laudos vor sich hin weinte. Maxie hätte niemals daran gedacht, daß Joe Kinder haben könnte. Aber schließlich hatte sie nie viel Gedanken an Joe verschwendet und nur von ihm gewußt, daß er Docs Schatten war, nie etwas sagte und zufrieden zu sein schien, wenn er in der Nähe seines Meisters war.
»Sorge ... du ... für ihn ... für mich«, flüsterte Joe, seinen Sohn ansehend.
»Sei still«, sagte Maxie, »ich hole einen Arzt.«
»Nein!« Dann schloß Joe einen Moment die Augen, und sie glaubte schon, er wäre tot, als er sie ein paar Sekunden später abermals öffnete. »Hör zu ...«, flüsterte er, »muß es sagen ...«
»Ja«, gab Maxie im Flüsterton zurück und beugte sich zu ihm. Selbst sie wußte, daß man mit so einer Wunde keinen Arzt mehr brauchte.
»Doc brachte mich um.«
Diese Erklärung konnte Maxie nicht glauben; denn wenn es jemanden gab, für den Doc wirklich etwas übrig hatte, dann für diesen Mann. »Nein, das kann er unmöglich getan haben.«
Joe versuchte, seine verstümmelte Hand hochzuheben. »Wertlos für ihn. Schlechter Schütze. Dumm.«
Seinen Kopf haltend, spürte Maxie, wie sein warmes Blut in ihr Kleid sickerte. Aber sie konnte noch immer nicht glauben, was Joe da sagte.
Da begann er an seinem Jackenaufschlag herumzutasten, und Maxie begriff, daß er etwas aus einer Brusttasche
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