Jene Nacht im Fruehling
haben wollte. Sie griff hinein und holte eine mit einem Reißverschluß versehene kleine Segeltuchtasche heraus, wie man sie von Banken für einen Geldtransport bekam.
»Ich wußte ...«, sagte Joe, »ich wußte, was kommen würde. Ich nahm ... Geld. Markiertes Geld. Nichts ... davon ausgeben.«
Den Beutel entgegennehmend, nickte sie. »Natürlich werde ich es nicht ausgeben.«
»Hilf meinem Jungen.« Einen Moment lang versuchte Joe, sich auf seine Ellenbogen zu stemmen, und seine Augen sahen sie so eindringlich an, daß sie fast zu lodern schienen. »Schwöre es.«
»Ja«, sagte Maxie, und sie spürte, wie ihr nun die Tränen über das Gesicht liefen. »Ich schwöre, daß ich für ihn sorgen werde.«
Joe legte sich wieder auf den Boden zurück. Er war mit seiner Kraft fast am Ende. »Doc weiß nichts ... vom Jungen. Junge ist... Geheimnis. Geld ist... Geheimnis.«
»Ich werde deine Geheimnisse bewahren«, versprach Maxie. »Alle.« Und in der nächsten Sekunde wußte sie, daß Joe tot war.
Behutsam legte sie seinen Kopf auf den Boden zurück, drehte sich zu dem kleinen Jungen um und hielt ihn einen Moment an sich gedrückt, während er heulte: »Ich möchte meinen Daddy haben.«
Ihr Instinkt sagte Maxie, daß sie keine Zeit hatte, den Jungen zu trösten. Doc hatte zu ihr gesagt, daß er heute nicht in den Klub kommen könnte, weil er woanders aufgehalten würde und erst um Mitternacht wieder nach Hause kommen würde. Deshalb hatten Mike und Maxie diesen Abend für ihre Flucht gewählt. Aber nun sträubten sich ihr die Haare im Nacken, weil sie spürte, daß heute abend etwas Entsetzliches passieren würde. Etwas hatte Doc veranlaßt, sie zu belügen und einen Mann zu töten, der sein Freund und Leibwächter gewesen war.
Abrupt löste sie sich von dem Kind und stand auf. Sie mußte sich um diesen Jungen kümmern, dann zu Mike gehen und mit ihm den Klub verlassen. Wenn Mike und sie aus der Stadt flüchten wollten, durften sie nicht mehr bis zu ihrem letzten Auftritt warten. Sie mußten den Klub jetzt verlassen.
Das Kind hinter sich herziehend, Joes Segeltuchtasche in der Hand, ging Maxie zurück zum Umkleideraum. Dort, unter einem Berg von Kleidern versteckt, befand sich ihre dicke kleine Tasche, in die sie alle Sachen gepackt hatte, die sie für die bevorstehende Reise brauchte, und in deren Boden ein daumenbreites Bündel Hundert-Dollar-Noten versteckt war - das ganze Geld, das sie in den Jahren, in denen sie als Kellnerin und Sängerin gearbeitet hatte, hatte zurücklegen können. Sie zögerte nun keine Sekunde, diesen Packen Geldscheine wieder aus ihrer Tasche zu nehmen. Dann wickelte sie ihn in eine von Lilas kunstseidenen Blusen ein, die über einer Stuhllehne hing.
»Wie ist deine Mutter?« fragte sie den Jungen, bemüht, die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken, was ihr jedoch nicht gelang.
Das Kind begriff nicht, was sie meinte. Seine Mutter war seine Mutter und sonst niemand.
Maxie faßte das Kind unter das Kinn - vielleicht ein bißchen fester, als sie das beabsichtigt hatte. »Sage mir die Wahrheit: Ist deine Mutter eine gute Mutter?« Maxie hatte zu viel Erfahrung mit schlechten Müttern, um einer Frau zu trauen, nur weil sie den fast heiligen Titel >Mutter< trug.
Wieder verstand das Kind sie nicht.
Da fragte sie fast wütend: »Schlägt sie dich? Ist eure Wohnung sauber? Verbringen eine Menge Männer die Nacht mit ihr im Bett?«
Da fing der Junge wieder an zu weinen. »Sie schlägt mich nicht, macht immer sauber, und nur mein Daddy schläft in ihrem Bett.«
Da bekam Maxie ein schlechtes Gewissen und wollte den Jungen trösten, was sie, wie sie wußte, nicht konnte. Sie wußte, daß die Zeit immer knapper wurde, wenn sie und Mike noch lebend den Klub verlassen wollten.
Sie schob dem Kind das in die Bluse eingewickelte Geld in die Hand. Es war alles, was Mike und sie besaßen, und sie hatte keine Ahnung, wo sie beide nun die Mittel hernehmen sollten für die Reise und den Hausstand, den sie gründen wollten. Doch daran konnte sie jetzt nicht denken. Im Augenblick wußte sie nur, daß das Wichtigste auf dieser Welt war, mit Mike hier lebend herauszukommen.
»Bring das deiner Mutter«, befahl Maxie dem Kind. »Und sag ihr, daß sie New York verlassen soll. Lauf jetzt so schnell du kannst zu ihr. Sag ihr, daß sie noch h eute New York verlassen muß.«
Nachdem er sie ein paarmal mit seinen rotgeweinten Augen angeblinzelt hatte, huschte der Junge aus der Garderobe und rannte durch den
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