Jene Nacht im Fruehling
anfing, Sieger geblieben. Mehr kann das Leben einem Menschen nicht bieten. Ich habe gewonnen.«
»Meine Mutter ...«, flüsterte sie.
»Sie war ein Nichts. Half Hand war ein Nichts. Maxie war ein Nichts - obwohl es ihr fast gelungen wäre, mich zu besiegen. Man hatte mich zwar davon informiert, daß sie sich einen Liebhaber genommen hatte - aber ich hatte nicht gewußt, daß der sie auch geschwängert hatte. Das erfuhr ich erst von diesem Muskelprotz, Ihrem Freund. Ich wußte, daß Sie nicht mit mir verwandt sein konnten. Ich hätte Sie niemals im meinem Haus empfangen, wenn es nicht um dieses Geld gegangen wäre.«
Es war nicht einfach für Samantha, seine Logik nachzuvollziehen. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht glaubte sie wirklich, daß jeder so wäre wie sie. Sie hatte immer geglaubt, daß sich jeder Mensch auf dieser Welt wie sie nach Freundschaft und Liebe sehnte. Aber wenn das so wäre, gäbe es keine solchen Menschen auf der Welt, wie dieser Mann da vor ihr einer war.
»Ich hasse Sie«, flüsterte Samantha.
Er lächelte. Es war ein spöttisches, überlegenes, selbstgefälliges Lächeln, als könnte er jeden Gedanken in ihrem Kopf lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. In diesem Moment wußte sie, daß sie diesen Mann töten wollte. Doch sie bemühte sich, sich nicht verblenden zu lassen von ihrem Haß, sondern einen klaren Blick zu behalten für diesen Menschen, der da vor ihr saß. Und da sah sie wieder einen alten, gebrechlichen und - schlimmer noch -armen Mann im Rollstuhl. Mike hatte ihr gesagt, seine Nachforschungen hätten ergeben, daß Doc keinen Penny mehr besaß - daß der Aufwand, den er treiben mußte, um sein eigenes Leben zu schützen, sein Vermögen aufgezehrt hatte. Wer würde sich nun um ihn kümmern, wenn er kein Geld mehr hatte, um einen Pfleger bezahlen zu können? Würde er den Rest seines Lebens in einem Altersheim verbringen, wo er sich streng an die Hausordnung halten, um neun Uhr das Licht ausschalten mußte und von Schwestern herumkommandiert wurde, die ihn Tony nannten?
Ihn noch einmal ansehend, wußte sie, daß er mit der Genugtuung, die letzte Runde dieses Spiels gewonnen zu haben, von dieser Welt Abschied nehmen und zur Hölle fahren würde, wenn sie ihn jetzt erschoß. Denn er würde dafür gesorgt haben, daß sie viele Jahre im Gefängnis verbringen mußte, weil sie einen Mörder getötet hatte.
Sie drehte die Hand ein wenig nach rechts und schoß das Magazin leer - schoß sechsmal in die Wand hinter ihm.
*
Das nächste, was ihr dann wieder zu Bewußtsein kam, war Mike, der sich über sie beugte und ihr ein mit Kognak gefülltes Glas an die Lippen hielt. »Trink das«, befahl er, und sie gehorchte. Aber er mußte das Glas festhalten, denn sie konnte das nicht selbst tun. Ihre Hände zitterten zu sehr.
»Wie ...?« fragte sie und mußte erneut ansetzen, weil ihr die Stimme versagte. »Wie hat Michael Ransome dieses Massaker überlebt?«
12. Mai 1928
Als der Sanitäter den Körper von Michael Ransome sah, bestand für ihn kein Zweifel, daß dieser Mann tot war. Niemand konnte so viel Blut verlieren und noch am Le-ben sein. Da waren mindestens zwanzig Einschüsse an seinem Unterkörper, und seine Beine sahen aus wie Hackfleisch.
Aber als sich der Sanitäter über diesen Mann beugte, schlug der die Augen auf, und der Sanitäter schrie sofort: »He, dieser da ist noch ...«
Aber mit dem bißchen Kraft, das Michael noch geblieben war, faßte er nach dem Arm des Sanitäters und sagte: »Wenn Sie Erbarmen mit mir haben, lassen Sie es die anderen nicht wissen, daß ich noch lebe.«
Der Sanitäter war überzeugt, daß der Mann einen Schock erlitten hatte und nicht wußte, was er sagte. »Sie verbluten doch. Sie können unmöglich . ..«
»Wenn die wissen, daß ich noch lebe, werde ich noch mehr Blut verlieren.«
In diesem Moment kam ein Mann auf sie zu, ein großer, bulliger Typ mit einer Ausbuchtung unter der Achsel, die nur eine Waffe sein konnte, die er unter der Jacke trug. Er sah auf Mikes verstümmelten Körper hinunter. »Wie geht es ihm?«
Der Sanitäter wußte, daß hier ein Bandenmord stattgefunden hatte, aber diesmal waren auch eine Reihe von Frauen, waren alle Mädchen vom Ballett und Chor erschossen worden. Ein unverletzter, der alles mitangesehen hatte, hatte gesagt, die Frauen wären die ersten gewesen, die von den Gangstern niedergemäht worden waren, so als hätte man den Männern mit den Maschinenpistolen den Auftrag gegeben, diese als erste zu
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