Jene Nacht im Fruehling
eines Mannes, der in einem Haus aufgewachsen war, zu dem sich im Vergleich die Räume hier wie mit Sperrgut angefüllte Rumpelkammern ausnahmen. Die Antiquitäten waren zumeist Imitationen, desgleichen die Gemälde und das Porzellan. Und es waren nicht einmal gute Kopien, wie er feststellte, und hier und dort entdeckte er verdächtig helle Stellen an den Tapeten, als hätte man ein Gemälde, das dort gehangen hatte, entfernt.
Auch schien es in diesem Haus keine Dienerschaft zu geben, nur diese Typen mit den Drähten in den Ohren.
Verstohlen fuhr Mike mit der Hand über eine Tischplatte und schüttelte sich dann den Staub von den Fingern, während der bullige Leibwächter ihnen ein Zeichen gab, ihm in ein anderes Zimmer zu folgen.
Das war ein großer, heller Raum mit Fenstern, die auf den Ozean hinausgingen. Während Samantha sofort an eines dieser Fenster trat, um auf das Meer hinauszublicken, blieb Mike an der Tür stehen, sah sich im Zimmer um und entdeckte in einer Ecke des Raumes den alten Mann im Rollstuhl, mit dem er sich in den letzten Jahren als Rechercheur und Autor beschäftigt hatte. Mike war sich sicher, diesen Mann unter Hunderten herausfinden und in jeder Verkleidung erkennen zu können, obwohl seines Wissens nach nicht eine einzige Aufnahme von diesem Mann existierte; denn Barrett hatte zeitlebens eine fast an Besessenheit grenzende Abneigung gegen das Fotografieren gehabt.
Auf den ersten Blick schien sich Barrett mit seiner runzeligen braunen Haut und seiner zusammengefallenen Gestalt nicht von anderen Menschen in diesem hohen Alter zu unterscheiden. Es waren die Augen, die ihn verrieten - wache, noch immer junge Augen, in denen sich die Intelligenz widerspiegelte, mit der dieser Mann aus den Slums von New York zu einer der mächtigsten Figuren in der kriminellen Szene dieser Metropole aufgestiegen war. Und diese Augen waren nun auf Mike gerichtet.
Barrett hatte seine Aufmerksamkeit zuerst Samantha zugewandt, die Augen aber nach kurzer Betrachtung wieder von ihr genommen, als wäre sie ohne Bedeutung. Doch nun studierte er Mike, musterte ihn eingehend von Kopf bis Fuß, als versuchte er sowohl dessen körperliche Kräfte abzuschätzen als auch die Gedanken zu lesen, die sich hinter seiner Stirn verbargen. Obwohl er sich dagegen wehrte, erschauerte Mike unter diesem Blick, als würde ihn irgendeine außerirdische Intelligenz unter die Lupe nehmen, die in einen Menschen hineinschauen und erkennen konnte, was in ihm vorging.
»Wollen Sie sich nicht setzen?« sagte er alte Mann in einem Flüsterton, der an das Rascheln von Pergament erinnerte. Seine Stimme war so gebrechlich wie sein Körper, und Mike hatte so eine Ahnung, daß Barrett sich nur schwer oder gar nicht mit seiner Gebrechlichkeit abfinden konnte.
Samantha wäre vor Schreck fast zusammengefahren, als sie die Stimme des alten Mannes vernahm, denn sie war sich der Tatsache, daß sich noch ein Dritter im Raum aufhielt, gar nicht bewußt gewesen. Sich umdrehend, sah sie einen kleinen, verschrumpelten Mann in einem Rollstuhl, dessen Anblick sie ans Herz rührte. Sie dachte, wie einsam er sich doch fühlen mußte in so einem riesigen Haus, wenn er keine Familie und Freunde mehr hatte, und lächelte ihn an.
Der alte Mann erwiderte ihr Lächeln auf eine Weise, die Samantha noch mehr ans Herz griff. Wie schüchtern, ja menschenscheu dieser Mann doch war! dachte sie, ging zu ihm und streckte ihm ihre Rechte hin, die er nun ergriff und lange festhielt, ihre frische, jugendliche Haut auf seiner alten, braunen, wie gegerbt wirkenden Handfläche studierend. Nach einer Weile ließ er ihre Hand wieder los und forderte die beiden mit einer Bewegung auf, sich zu setzen. Samantha wollte sich nun in einem Sessel niederlassen, aber Mike faßte sie am Arm und zog sie mit sich zu einer Couch, damit sie, wie es sich für ein verlobtes Paar gehörte, beieinander sitzen sollten, was Samantha mit einem Stirnrunzeln - jedoch so, daß Barrett es nicht sehen konnte - quittierte, ehe sie sich auf den Rand des Sofas niederließ, während Mike sich schweigend in das Rückenpolster zurücklehnte.
»Sie sind gekommen, um sich bei mir nach Maxie zu erkundigen«, sagte Barrett.
Samantha hatte sich von diesem Treffen mit Barrett nur insoweit beschäftigt, daß dieser Besuch für sie eine Hürde war, die sie nehmen mußte, um Mikes Haus und New York wieder verlassen zu können, doch nun war plötzlich ihr Interesse geweckt. »Meine Großmutter hat meine Familie ein Jahr
Weitere Kostenlose Bücher