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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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ruppigen Gesellschaft stand er länger, sondern durfte sich auf einmal in der allgemeinen Hochachtung sonnen. Als er die anderen dann schlingen sah, mit vollen Backen, kulminierte dies alles noch. Er selbst brachte in der Aufregung kaum einen Bissen hinunter, fühlte sich dennoch – auf andere Weise – gesättigt wie nie. »Nächste Woche gehe ich wieder auf die Pirsch«, verkündete Georg Jennerwein, nachdem die Reste des verbotenen Mahls hinter der Baracke vergraben worden waren. Die anderen, die sich dank seiner Courage die Wänste vollgeschlagen hatten, brummten zustimmend. Lange noch lag Georg Jennerwein wach, bis über die Mitternacht hinaus, und malte sich sein neues, wildes, rebellisches Leben aus und spürte die Spielhahnfeder über dem Bettpfosten fordernd zittern.
     
    *
     
    Das ganze restliche 65er Jahr hindurch und noch ein gutes Stück ins 66er hinein hielt der Girgl sein Wort. Vertauschte Axt und Säge jetzt immer öfter mit dem Stutzen, und die Kameraden nahmen es augenzwinkernd hin, arbeiteten ohne Widerspruch das wieder herein, was der mit der Spielhahnfeder auf dem Holzeinschlag notgedrungen versäumte. Wichtiger war ihnen, daß er ihnen das Wildpret brachte, daß er immer wieder den verachteten Jägern eins auswischte. Mit dem Revier am Öder Kogel und weiter hinauf zur Gindelalmschneid gab sich Georg Jennerwein schon bald nicht mehr zufrieden. Bis hinüber zum Rainer Berg über dem Schliersee und nach Süden hinunter zum Riederstein und zum Kühzagl führten ihn nun seine verstohlenen Wege. Den Büchsenhahn spannen, anschlagen und feuern ging ihm mit der Zeit traumwandlerisch sicher in Fleisch und Blut über.
    Gegenüber den Jägern schien er mittlerweile so etwas wie einen sechsten Sinn entwickelt zu haben. Klar, daß die schon bald das Schrumpfen des Wildbestandes in ihren Revieren bemerkt hatten. Daß sie dem Lumpenhund nachstellten, die eigenen großkopfeten Brotherren im Genick. Doch sie konnten lauern auf den Unbekannten, soviel sie mochten, der Girgl war immer wieder der Schlauere und Gewieftere. Der führte sie mit Blindschüssen in die Irre und schlug dann unversehens anderswo zu. Der wußte genau, wann es eine Kindstaufe gab, eine Beerdigung oder eine Hochzeit in ihrer Verwandtschaft. Daß ihm längst auch der eine oder andere Wirt solche Informationen zukommen ließ, konnten sie ja nicht ahnen. Georg Jennerwein nämlich war inzwischen so scharfäugig und schußsicher geworden, daß er nicht mehr bloß die Holzknechte, sondern zusätzlich einen Teil der Gastronomie im Tegernseer Tal mit Rehschlegeln und Gamsrücken versorgte.
    Und im Hosensack klingelte dem Achtzehnjährigen jetzt das Geld; außerhalb der Gesetze und der Moral, auf die er ohnehin pfiff, schien er seinen Weg durchaus gemacht zu haben.
     
    *
     
    Schießwütig freilich gab sich in diesem Frühjahr 1866 nicht nur der Wildschütz vom Tegernsee, sondern auch das entsetzliche spätfeudale Stückelwerk, welches sich Deutschland nannte. Zuhauf hockten die Könige, Fürsten und Duodezischen {47} auf ihren Schlössern zwischen Nordsee und Alpen, hielten protzig hof, belauerten und betrogen sich gegenseitig, intrigierten gegeneinander und setzten ansonsten alles daran, die Rumpfparlamente, die sich mittlerweile trotz allem ausgebildet hatten, möglichst im Zaum zu halten. Einigermaßen arrondiert waren lediglich Bayern, Österreich und Preußen; von letzterem dann, vom hirnrissig militaristischen, ging endlich auch der bewaffnete Konflikt, wie die Angelegenheit verlogen und verbrämt sich nannte, aus.
    Ausgerechnet in Schleswig und Holstein prallten die machtpolitischen Interessen Österreichs und Preußens aufeinander. Jeder der beiden Staaten war auf den Kriegshafen Kiel scharf. Im Vertrag von Gastein, 1865, hatten die Hohenzollern und die Habsburger sich vorerst noch zur Teilung bereit gefunden. Im Januar 1866 allerdings, als die holsteinische Bevölkerung sich demonstrativ für Österreich erklärte, setzte zu Potsdam das Säbelrasseln ein. Im Deutschen Bund {48} ging es daraufhin zwischen den Kontrahenten alsbald auf Biegen und Brechen. Während Preußen vordergründig noch immer diplomatisch taktierte, rüstete es ab März bereits auf. Hohenzollerische Truppen marschierten in Holstein ein. Ein Revolverattentat auf Bismarck im Mai des gleichen Jahres mißlang.
    Wenige Tage später wurde das preußische Abgeordnetenhaus aufgelöst. Einmal mehr hatte der Militärstaat sein wahres Gesicht gezeigt. Im Juni, viel zu spät,

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