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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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die noch schlaf taumeliger gewesen waren als er, handelten sich einen rüden Anpfiff ein. Immer noch belfernd, trieb der Korporal sie anschließend alle zusammen in den Waschraum. Eiskalt war das Wasser in den Steintrögen jetzt im frühen April noch. Mehr als einer der pudelnackten angehenden Vaterlandsverteidiger kniff unübersehbar den Schwanz ein. Der Unteroffizier weidete sich lärmend dran. Scheuchte seine Herde, in Unterhosen, sodann zur Kleiderkammer. Das »Paßt! Paßt! Paßt!« hagelte den Rekruten zusammen mit den Militärklamotten, dem Lederzeug, den ungewohnten Stiefeln um die Ohren. Auch Seitengewehre, Brotbeutel und Feldflaschen hatten sie zu fassen. Musketen oder gar die neuen Zündnadelgewehre {50} freilich noch nicht. Erst würde das Schleifen kommen, sehr ausufernd, das ahnte Georg Jennerwein jetzt schon. Er zwängte sich ins graublaue Infanterietuch, schnallte um und schräg über die Brust, so gut er konnte, spürte allmählich den Hunger bohrend in den Eingeweiden nagen. Am Abend zuvor, als er verspätet eingetroffen war, hatte sich keiner mehr gefunden, der ihn noch verproviantiert hätte.
    Doch zwischen dem Girgl und einem Kanten Schwarzbrot, einem Schluck Milchkaffee stand noch immer der Korporal. Der brüllte jetzt schon wieder auf die Rekruten ein: »Weil ihr ausschaut wie hingereihert! Weil ihr wahrscheinlich nie im Leben richtige Soldaten werdet! Weil ihr ein Dreck seid, ein Lumpenpack, eine Saubande! Deswegen jetzt im Laufschritt marsch! Auf den Hof hinaus! Und immer an der Mauer entlang im Trab, Hundskrüppel, ihr!«
    Im aprilfeuchten Kies blieb einer liegen. Ein Magerer, Hohlwangiger, der es ganz offensichtlich auf der Lunge hatte. Grinsend schleppten zwei Sanitäter ihn weg. Georg Jennerwein, im schwitzenden Rudel der zehn anderen, kam – nachdem der Korporal seine Genugtuung hatte – endlich doch zu seinem Frühstück.
    Nach der anbefohlenen Massenentleerung auf der Latrinenstange, allen Blicken von draußen und von den Seiten her hilflos preisgegeben, dann gleich wieder der Drill. Antreten, rennen, sich in den Kies werfen, sich erneut sammeln; stumpfsinnig, endlos, bis zum Mittag. Keiner, der ihm und den anderen erklärt hätte, wozu so etwas gut sein sollte. Bloß immer das Korporalbrüllen, und der Kerl wurde ums Verrecken nicht heiser, während die wäßrige Sonne über dem Kasernengeviert höher und höher stieg. Wassersuppe dann, als sie im Zenit stand. Am Nachmittag in der engen Stube Uniformreinigen. Mit Hilfe von Schmierseife, deren Geruch einen zum Kotzen treiben konnte. Neuerliches Korporalraunzen, wenn einer es beim besten Willen nicht schaffte. Bis zur Abenddämmerung waren dann endlich die letzten Dreckspuren aus dem graublauen Tuch getilgt. Auch der Schwindsüchtige war wieder da, kauerte in einer Ecke, hektische rote Flecken im Gesicht. In den Stubenmief hinein der letzte Tagesbefehl des Korporals: »Antreten und Abmarsch zum Gottesdienst!«
    In der Garnisonskirche der fette Kapuziner, der ihnen viel von der Treue zum König und vom göttlichen Willen vorsäuselte. Von der Pflicht zum unabdingbaren Gehorsam auch. Und daß ein guter Soldat stets keusch zu leben habe. Georg Jennerwein erinnerte sich schmerzlich an die Mirl, die Sennerin auf der Buchbergeralm oberhalb von St. Quirin, in deren Bettstatt er in letzter Zeit öfter geschlüpft war. Damit war es jetzt aus, für volle drei Jahre. Den heiligen Antonius beschwor der Kapuziner gerade, als der Girgl dies mit halbsteifem Glied dachte, trotz seiner schmerzenden Knochen. Die Sehnsucht nach Weiberfleisch wurde noch größer, während der Pfaffe zum Altar zurückkehrte, während er die Messe in schier endloser Ausuferung fertigzelebrierte. Erst als der Hunger immer ärger zu bohren begann, verging dem Zwanzigjährigen der Trieb wieder. Mit dem »Ite missa est!« vermischte sich sein und der anderen Rekruten Magenknurren.
    Sechs Korporalschaften stark insgesamt, wurden sie in die Quartiere zurückgetrieben. Schwarzbrot gab’s und nichts dazu zum Nachtmahl.
    Ein Narr war ich, dachte Georg Jennerwein, als er sich in die Flohfalle wühlte, daß ich überhaupt hergekommen bin! Den Stutzen hätt’ ich nehmen sollen und ins Tirolerland hinüber abhauen. Jederzeit hätt’ ich dort eine Holzarbeit gefunden, und das Wildern wär’ auch wieder gegangen.
    Doch jetzt hatten sie ihn am Genick, die Militärischen, und die Doppelbüchse samt der Munition lag bei der Mirl hinterm Wandbrett, und er konnte bloß hoffen, daß sie

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